Donnerstag, 28. September 2017

Rollstuhl- und Autofahrer?

"Wie sind Sie denn hergekommen, Frau [Natalie]? Mit Ihren Eltern?"
  - "Nein, allein."
"Wie, allein? Mit dem Auto?"
  - "Ja."
"Achso, Sie können Autofahren?!"

Ja, Überraschung! Schon oft habe ich Dialoge dieser Art geführt und war jedes Mal ein kleines bisschen gekränkt, dass mir leider doch so wenig Selbstständigkeit unterstellt wird.

Autofahren schenkt einem nun mal wahnsinnig viel Mobilität. In der ist man als Rollstuhlfahrer ja bekanntlich eingeschränkt, weshalb das Autofahren Einem ein großes Stück Freiheit zurückgeben kann, finde ich. Die meisten Querschnitte (Querschnittgelähmte sind selbstverständlich gemeint) fahren mit Handgas. Wie der Name schon sagt, bedienen sie mit ihrer Hand das Gas und die Bremse. Die Autos haben dann natürlich ein Automatikgetriebe. Genau wie mein Auto, trotzdem läuft das Ganze bei mir noch etwas anders.

Zum Ende der zwölften Klasse hin, als ich siebzehn war, wollte ich endlich mit dem Führerschein beginnen. Ich hatte das Gefühl, die Einzige in meinem Jahrgang zu sein, die noch nicht Auto fahren konnte und das störte mich total. Ich hatte überhaupt keinen Plan vom Autofahren und alle anderen gratulierten sich ständig gegenseitig zu ihren bestandenen Prüfungen (ich gönne aber auch niemandem was, ich weiß). Und ich wusste überhaupt nicht, wie das bei mir überhaupt funktionieren sollte. Ich wollte irgendwie nicht lernen, mit Handgas zu fahren, das kam mir wieder so weit weg von der Normalität vor. Was selbstverständlich ziemlicher Quatsch ist, aber damals dachte ich halt so. Da ich auch zu dem Zeitpunkt schon recht gute Funktionen in meinem rechten Bein und Fuß hatte, hoffte ich darauf, meinen Führerschein 'ganz normal' mit Automatikgetriebe zu machen, da braucht man ja schließlich nur den rechten Fuß. So weit, so gut. Ist aber nicht ganz so einfach mit einer Behinderung.

Zuerst musste ich zu einem ärztlichen Gutachten, welches meine Eltern und mich schon einige hundert Euro kostete. Dort testete eine Ärztin die Funktionen in meinem Bein und schrieb - wer hätte es gedacht - ein Gutachten darüber. Das fiel in meinem Fall recht positiv aus und ich durfte mit der Theorie beginnen. Ja, richtig, ich musste das Gutachten haben, bevor ich zum Theorieunterricht gehen durfte. Versteh mal einer, warum..
Theorie und Praxis musste ich jedoch in unterschiedlichen Fahrschulen absolvieren. Ich brauchte logischerweise ein Fahrschulauto mit Automatikgetriebe und darüber verfügte in meiner näheren Umgebung niemand. Ich fand aber einen Fahrlehrer, der bundesweit Fahrstunden für Menschen mit Behinderung anbot und als die Theorie bestanden war, konnte ich mit der Praxis beginnen.

Um allerdings sicher zu gehen, ob ich wirklich genug Kraft und Kontrolle in meinem Bein habe, musste noch ein zweites Gutachten nach einer Fahrprobe hinzugezogen werden. Finde ich auf jeden Fall richtig, keine Frage. Teuer war es leider trotzdem. Als auch das geschafft war, konnte ich meine Fahrstunden zu Ende bringen und durfte in die Prüfung. Prüfung bestanden, Führerschein war da, Natalie überglücklich, weil sie auch endlich Auto fahren konnte.

Irgendwann wollte und musste ich mir dann ein Auto zulegen und es stellte sich die Frage: Wie bekomme ich denn da eigentlich den Rollstuhl rein?
Es gibt spezielle Vorrichtungen, die man sich ins Auto einbauen lassen kann, die dann den Rollstuhl hinein befördern. Bloß wer bezahlt das? Meine Krankenkasse schon mal nicht. Ebenso stellten sich auch alle anderen Ämter und Institutionen quer, die dafür in Frage kämen, da ich beispielsweise noch nicht arbeiten ging oder keine Ausbildung gemacht habe. Alles klar.👍 Die Verantwortung wurde von Einem zum Nächsten geschoben und letztendlich fühlte sich mal wieder keiner verantwortlich. Also konnte ich die Option schon mal abhaken. Ein bisschen zu meiner Freude; ich wollte nämlich natürlich keinen auffälligen Kran oder sonst was in meinem Auto haben..

Aber was dann? Ein Freund von mir, ebenfalls querschnittgelähmt, lädt seinen Rollstuhl immer über seinen Schoß hinweg selbst ein und baut ihn vorher halt auseinander. Dafür ist mein 'riesiger', schwerer Faltrollstuhl aber echt nicht geeignet. Einen zweiten Rollstuhl bezahlt die Kasse nicht und Rollstühle können echt teuer sein. Um meinen Rollstuhl ebenso verladen zu können, benötigte ich einen leichten Starrrahmenrollstuhl. Also einen, den man nicht falten kann. Und tatsächlich fand ich im Internet ein recht gutes Angebot zu einem gebrauchten Stuhl, der auch noch meinen Maßen entsprach. Ich sah ihn mir an, fuhr etwas zur Probe und kaufte ihn. Nicht wirklich cool; ein Rollstuhl sollte schon angepasst werden und man kann eigentlich nicht in 3 Minuten entscheiden, ob der Stuhl wirklich geeignet ist, aber eine andere Lösung fiel mir in dem Moment (und bis heute) nicht ein, also war´s schon gut so. Der Rollstuhl kam zu Hause an, das Auto war längst gekauft.. Und ich bekam ihn einfach nicht auseinander gebaut und über meinen Schoß ins Auto gehoben. Es war irgendwie zum Verzweifeln. Mit ein bisschen Rumprobieren und etwas Übung fand ich aber einen Weg, und den nutze ich nach wie vor:

Kofferraum auf, Umsetzen in den Kofferraum, den Rollstuhl über die hintere Stoßstange in den Kofferraum heben/ziehen (keine Ahnung, ob das wirklich die Stoßstange ist.. jedenfalls sieht sie, wie zu erwarten bei dem Gebrauch, ziemlich ramponiert aus..), festbremsen. Aufstehen, irgendwo am Auto festhalten, Kofferraumklappe zu. Und dann am Autodach abstützen und langsam seitlich bis nach vorn gehen, die Fahrertür sollte natürlich vorher schon offen stehen. Beim Ausladen logischerweise genau umgekehrt. Schwierig wird die Sache nur im Sommer, wenn das Dach total heiß ist oder im Winter, wenn es mit Schnee und Eis bedeckt ist. Auf meinen Beinen stehe ich auch alles andere als stabil, weshalb das Risiko zu stürzen auch nicht wirklich gering ist. Außerdem ist Scheibe kratzen auch nicht einfach und wenn jemand zu dicht an meinem Kofferraum oder an meiner Fahrertür parkt, kann ich den Rollstuhl nicht einladen bzw. komme ich nicht ins Auto.

Aber was soll´s. Anders geht es momentan nicht und ich bin einfach nur froh, endlich selbstständig von A nach B zu kommen, das gibt mir ein sehr schönes Gefühl von Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Mehr Mobilität und Flexibilität. Auch eine Tatsache, die mir viel geholfen hat, meine Einschränkung zu akzeptieren und einfach viel besser mit ihr klar zu kommen.


Donnerstag, 21. September 2017

...von Berührungsängsten, Krüppeln und fehlendem Selbstbewusstsein

Zurück zu Hause zu sein bedeutete natürlich auch, nach den Sommerferien wieder zurück in die Schule zu müssen. Ich wollte unbedingt wieder dort hin, wollte meinen Schnitt halten und die Zehnte auf keinen Fall wiederholen. Ich Streber, ich.. Etwa ein dreiviertel Jahr war ich damals nicht mehr in der Schule gewesen. Da ich aber schon vor meiner Erkrankung nicht gerade schlecht war (Eigenlob stinkt, ich weiß), stimmten wir zusammen mit meinem Schulleiter und meinen Eltern ab, dass ich einfach erstmal weiter in die 11. gehen sollte. Gesagt, getan.

Ungünstiger Weise war meine Schule aber eigentlich so gar nicht barrierefrei. Da sich mein Schicksal mit meiner Erkrankung aber scheinbar ein echt günstiges Timing ausgesucht hatte, wurde meine Schule gerade zu der Zeit renoviert und teilweise neu gebaut, zu der ich gerade in der Reha war. Und natürlich auch mit Fahrstuhl und Behindertentoilette ausgestattet. Echt top. Die Schule musste ich also schon mal nicht wechseln, das hätte mir damals überhaupt nicht gepasst. Zumal ich zu diesem Zeitpunkt einfach null Selbstbewusstsein hatte.

Weil es mir einfach furchtbar peinlich war, allein im Rollstuhl durch die Schule (auch nur ein paar kurze Meter) zu fahren, musste eine gute Freundin mich rund um die Uhr von A nach B schieben. Und wenn sie mal nicht da war oder anders Unterricht hatte als ich, bekam ich Panik. Ich traute mich auch kaum, andere Leute aus meiner Klasse um Hilfe zu fragen und stand mir damit immer einfach nur selbst im Weg. Oft war ich aus Frust ziemlich fies und unfair zu meiner Freundin, was mir im Nachhinein wirklich leid tut, schließlich hätte sie das alles nicht machen müssen. Dankbar war ich ihr trotzdem. Und als die ersten Berührungsängste bei meinen anderen Mitschülern abgebaut waren, wurde ich damit nach und nach etwas entspannter. Allein durch die Schule bin ich trotzdem bis zum Ende des Abis fast nie gefahren und wenn, dann nur sehr ungern.

Ein anderer Punkt, der mir Sorgen bereitete, war der Weg zur Schule und zurück. Die Busse, mit denen ich früher zur Schule gefahren bin, hatten oft Treppen oder mindestens hohe Stufen und waren so voll, dass ein Rollstuhl wahrscheinlich ohnehin schlecht reingepasst hätte. Außerdem hätte ich mich damals nie getraut, allein Bus zu fahren, um Himmels Willen. Also musste ein Fahrdienst her. Und ja, das war anfangs echt so scheiße, wie es klingt. Mit fettem Transporter mit Behindertenaufkleber und lautem Piep Piep beim Rückwärtsfahren. Natalie, der allein die Tatsache, im Rollstuhl zu sitzen, schon endpeinlich war, schämte sich natürlich in Grund und Boden.

Nach gefühlt tausenden Anträgen, Probefahrten und Fahrdienstwechseln wurde ich immer, wenn meine Eltern nicht fahren konnten, mit einem Taxi zur Schule gebracht und wieder abgeholt. Klingt irgendwie luxuriös, war aber auch unangenehm, weil´s natürlich anders als normal war. Aber gut, damit konnte ich mich irgendwann arrangieren und über den einen oder anderen seltsamen Fahrer kann ich jetzt noch lachen.

"Und wie haben deine Mitschüler reagiert?" - Eine Frage, die ich ziemlich oft höre.
Da wir in der elften Klasse sowieso nochmal in neue Klassen - oder von mir aus 'Tutorien' - eingeteilt wurden, mussten wir uns sowieso teilweise neu kennenlernen. Das fand ich damals ziemlich gut, da ich mich in meiner Reha-Zeit mit einigen Leuten aus meiner alten Klasse irgendwie ziemlich verstritten hatte; den Grund habe ich komischer Weise vergessen verdrängt.

Klar, die berühmten Berührungsängste gab es schon, aber trotzdem waren alle freundlich und wirklich hilfsbereit mir gegenüber. Fast alle. Direkt in der ersten Woche bekam ich das erste Mal das Wort "Krüppel" an den Kopf geworfen und war daraufhin ziemlich fertig. Derjenige hat sich ausgiebig bei mir entschuldigt und ich habe ihm verziehen; alles gut und schon längst vergessen. Natürlich beflügelte diese Aktion mein Selbstbewusstsein nicht gerade, aber ich kam damit klar.

Was mich weitaus mehr verletzte war, dass ich bei der Planung der Abifahrt nicht wirklich berücksichtigt wurde. Es sollte nach Kroatien in eine nicht barrierefreie Anlage gehen und damit war ich raus. Ich hatte keine Lust, die ganze Zeit auf Hilfe anderer angewiesen zu sein und mich am Ende wahrscheinlich noch 5x am Tag irgendwelche Treppen hoch und runter schleppen zu lassen. Klar, ich hätte mir 'nen Ruck geben können, irgendwie wär das schon alles gegangen, blah blah.. Nein, wollte ich aber nicht. Und um alternative Lösungen kümmerte sich auch keiner und ich war einfach nur gekränkt und ziemlich zickig. Jedes Mal, wenn dann das Thema Abifahrt auf den Tisch kam, war bei mir schlechte Laune vorprogrammiert.

Sonst lief das Abi aber ziemlich gut. Alles in allem hatte ich eine schöne Zeit und auch, wenn ich wirklich, wirklich froh bin, nicht mehr in die Schule zu müssen, denke ich ganz gern daran zurück.

Am Tag unseres Abiballs wurde es dann nochmal ungewollt schnulzig-emotional. Da ich bei der Zeugnisausgabe in meinem kurzen Kleid nicht im Rollstuhl auf der Bühne sitzen wollte und damals schon so weit war, kurze Strecken auf Krücken laufen zu können, beschloss ich, mein Zeugnis stehend entgegen zu nehmen. Nun ja, was das bei einem ohnehin schon gerührtem Publikum auslöst, ist irgendwo klar.. Das war echt nicht meine Absicht, ich wollte einfach nur nicht im Rollstuhl dastehen und viel Aufsehen erregen. Tja, ging nach hinten los. Also, nicht falsch verstehen; so wie ich das mitbekommen habe, kam das schon ganz gut an. Bloß bekam ich für meinen Geschmack viel zu viel Aufmerksamkeit, die ich ja eigentlich vermeiden wollte, aber daran war ich selbst schuld. Mama und Papa haben sich gefreut und das war die Hauptsache:)

Und dann stand - nein, saß - ich da. Abi vorbei. Und nun?

Samstag, 9. September 2017

Im Rollstuhl auf Festivals

Abenteuerlich! So viel kann ich vorweg schon mal sagen. Diesen Blogeintrag habe ich im Sommer geschrieben - für ein paar warme Gefühle, wo doch jetzt noch einmal Schnee liegt, hier ein paar Festivalerinnerungen.

Das letzte Festival, auf dem ich war, war das Highfield Festival - es war eine einzige Schlammschlacht. Mit nem Rollstuhl auf ein Festival zu gehen ist noch etwas anstrengender, als es ohnehin schon ist. Ich habe das Ganze jetzt schon ein paar Mal mitgemacht und frage mich jedes Mal aufs Neue, warum ich meiner Begleitung und mir so etwas antue. Schön ist es aber trotzdem jedes Mal gewesen.

Etwas schwierig macht die Sache, dass man als Rollstuhlfahrer in seiner Mobilität so schon irgendwie eingeschränkt ist und dann kommen unwegsames Gelände, weite Strecken und meistens ganz viel Matsch und Schlamm dazu. Klar, man weiß schon, worauf man sich einlässt, aber ein bisschen Jammern möchte ich trotzdem. Beim Highfield war durch den vielen Regen der Boden so schlammig, dass die Greifreifen meines Rollstuhls gar nicht mehr anzufassen waren und der Boden so aufgeweicht war, dass ich sowieso nicht mehr selbstständig von A nach B kommen konnte. Also mussten meine Freundinnen mich überall hinschieben, was natürlich keine leichte Angelegenheit war. Ist auch nicht schön, immer von jemandem abhängig zu sein und man möchte die Anderen ja auch nicht ständig "belasten", aber ging nun mal nicht anders und meine Freundinnen sind da zum Glück ziemlich schmerzfrei.


Was ich am Highfield echt loben kann: um Gäste mit Handicap wurde sich schon im Vorhinein gut gekümmert. Man musste sich per Kontaktformular auf der Webseite des Festivals anmelden und hatte damit den Luxus, auf dem VIP Campingplatz wohnen zu können. Vorteil war dabei, dass die Wege bis zum Festivalgelände relativ kurz waren und es auf dem Campingplatz eine Behindertentoilette mit fließend Wasser gab - richtig gut! Ich habe auch schon Festivals erlebt, bei denen ich mich in die versifften Dixiklos für laufende Menschen setzen musste. Nicht so schön, wenn man nicht stehen kann, sich überall festhalten muss und mit dem Po in irgendwelchen ekligen Substanzen sitzt.. Ich würde mich nicht beschweren, wäre mir nicht bei diesen Festivals vorher versichert worden, dass es eine barrierefreie Toilette gäbe, von der vor Ort dann niemand etwas wusste.. War beim Highfield aber wie gesagt nicht so. Das Wasser aus dem Hahn war sogar warm, das hat uns teilweise richtig glücklich gemacht - so einfach sind wir.

Cool waren auch die echt großzügigen Podeste für Rollstuhlfahrer, die es an jeder Bühne gab. Als Rollstuhlfahrer sieht man ja meistens alles aus der Kleinkindperspektive, was bei Konzerten echt unvorteilhaft ist. Vor allem, wenn Menschen anfangen zu springen und zu tanzen kann es schnell auch gefährlich werden. Auf den Podesten war man davor geschützt (vor dem immer präsenten und penetranten Grasgeruch nicht) und hatte einen super Blick auf die Bühne und über die Menschenmasse. Sogar barrierefreie Dixiklos gab es dort, da hat mal einer mitgedacht. Die Sicherheitsleute waren auch größtenteils so locker drauf, dass ich mehr als eine Begleitperson mit hochnehmen durfte, solang es natürlich nicht zu voll wurde.
Cool wäre nur, wenn diese Podeste im Allgemeinen besser kenntlich gemacht werden würden. Wenn man versucht, mit dem Rollstuhl durch die Menschenmenge zu kommen, ist es sehr schwer, währenddessen auch noch auszumachen, wo genau sich eben diese Podeste befinden. Eine Fahne mit einem Piktogramm würde schon reichen, denke ich.


Die anderen Gäste waren meistens auch richtig hilfsbereit und haben uns geholfen Platz zu machen, wenn wir durch die Menschenmenge wollten oder haben mich über ein besonders tiefes Matschloch getragen. Apropos Menschenmenge: wenn es eng ist, ist es natürlich nicht leicht, mit einem Rollstuhl durchzukommen und ich verstehe auch, dass die Menschen nicht einfach zur Seite springen können, wenn jemand im Rollstuhl kommt, das erwarte ich auch überhaupt nicht. Trotzdem ist es auf unwegsamen Gelände manchmal schwer und man fährt jemandem von hinten aus Versehen ans Bein. Dass dann aber meine mich schiebende Freundin, die sich wirklich nett entschuldigt hat, als Blödmann angepöbelt wird, verstehe ich nicht. Dreckig waren die Beine von wirklich Jedem auf diesem Festival und wehgetan kann das auch nicht haben, wir sind ja nicht mit 20 kmh durch die Kante gerast. Ein bisschen mehr Verständnis hätte ich mir an dieser Stelle gewünscht, aber was soll's. Immerhin hatten wir dann etwas, worüber wir uns aufregen konnten..
Von anderen Rollstuhlfahrern erhielten wir den Tip, mich beim nächsten Gang durch die Menge einfach mit einer Taschenlampe anzuleuchten, damit die Leute mich rechtzeitig sehen und Platz schaffen können. Haben wir direkt versucht - hat geklappt!

Fazit: Als Rollstuhlfahrer allein auf einem Festival unterwegs zu sein stelle ich mir mehr als schwer vor, auch wenn man viel Hilfe bekommt, wenn man sie sucht. Man möchte sich ja nicht rund um die Uhr von wildfremden Menschen helfen lassen. Aber mit den richtigen Freunden, denen es egal ist, ob sie jetzt dreckig werden und ob es anstrengend ist, die Natalie jetzt nocheinmal über das halbe Gelände zu schieben ist es machbar! Die guten Konzerte und der Alkohol haben natürlich ihr Übriges getan, weshalb wir alles im allem ein schönes Wochenende hatten.
Empfehlen kann ich nur, sich als Rollstuhlfahrer vor dem Festival mit dem Veranstalter in Verbindung zu setzen und alles genau zu erfragen, um am Ende keine bösen Überraschungen zu erleben.




Freitag, 8. September 2017

anfängliche Stolpersteine & Rollstuhlchaos

..Jaja, Stolpern als Rollstuhlfahrer.. Ihr wisst, was ich meine.

Aus dem Schutz der Rehaklinik entlassen, fand ich mich im Juli 2014 zu Hause wieder. Ein halbes Jahr Reha war vorbei; das abendliche Spritzen der Clexane (Anti-Thrombose) war vorbei und auch das Tragen der sexy Kompressionsstrümpfe.
Enttäuschenderweise immer noch ohne laufen, geschweige denn frei stehen zu können. Dabei hatte ich mir das doch alles ganz anders vorgestellt. In meiner naiven Vorstellung dachte ich mir immer "die Reha verlass ich nicht, wenn ich nicht wieder laufen kann!" Oookay, dann würde ich wohl heute noch da sitzen und warten..

Jedenfalls war ich dann zurück zu Hause und hatte erstmal viel Zeit. Die Schule ging eh nur noch ein paar Tage, weshalb ich zu Hause bleiben konnte und damals nur zum Schulfest mal wieder vorbeischaute. Die Zeit zu Hause war nötig, denn meine Wochen waren vollgepackt mit Therapien und Arztbesuchen. Krankengymnastik hatte ich 2-3 Mal pro Woche zu Hause und einmal die Woche in einer ambulanten Rehaklinik. Zwischendurch probierten wir auch einige andere alternative, zeitraubende Therapien aus, so war ich dann erstmal beschäftigt. Viel machen konnte ich eh nicht, mir war es zu der Zeit meistens echt peinlich, im Rollstuhl irgendwo gesehen zu werden und ich war eh darauf angewiesen, von Mama oder Papa durch die Gegend gekutscht zu werden.

Außerdem musste sich sowieso erstmal einiges einfinden. Da meine Krankenkasse nicht die großzügigste ist und wohl auch nicht besonders schnell arbeitet, musste ich anfangs noch ohne bestimmte Hilfsmittel klar kommen. Und das war mies. Beispielsweise fehlte uns die ersten 2 Monate der Treppenlift. Meine Eltern haben ein Haus und unsere Wohnung befindet sich in der oberen Etage. Nun komm da mal hoch, ohne laufen zu können. Entweder trug mein Papa erst mich und dann meinen damaligen Rollstuhl hoch oder runter; oder ich musste mich Stufe für Stufe nach oben/unten stützen. Damals hatten meine Beine noch kaum Kraft, weshalb ich sie auf jede einzelne Stufe mit den Händen setzen musste. Ja, ich jammere hier auf hohem Niveau, aber deshalb heißt es ja auch Luxusquerschnitt. 👆

So, der Treppenlift war irgendwann da - zack - nächstes Problem. Da unser Flur relativ schmal ist, konnte nur ein Lift eingebaut werden, auf den ich mich nur ohne Rollstuhl setzen kann. Gut, dann fährt man also hoch.. und dann? Der Rollstuhl steht ja dann logischer Weise noch dort, wo ich losgefahren bin. Das hieße also, dass meine Eltern jedes Mal den Rollstuhl hinterhertragen müssten, ich könnte also nie allein nach draußen oder nach drinnen gelangen. Die Krankenkasse bezahlt nur einen Rollstuhl, also mussten wir uns kümmern. Privat konnten wir von einer Bekannten so 'ne gebrauchte Gurke ergattern, mit der ich mich oben auch heute noch fortbewege. Nicht schön, aber es funktioniert und ich kann ohne fremde Hilfe nach oben oder nach draußen gelangen.

Das zu dem Zeitpunkt größte Problem, was die Hilfsmittelversorgung anging, war mein Rollstuhl. Den hatte ich mir in der Reha schon mithilfe der Beratung von Physio- und Ergotherapeuten ausgesucht und bei der Kasse beantragt. Mattschwarz, schön unauffällig und faltbar, damit ich auch mit den kleinen Autos von Bekannten und Verwandten mitfahren kann.. Die Krankenkasse brauchte natürlich viel länger als erwartet, um den Stuhl zusammen zu basteln und kam an meinem Entlassungstag aus der Reha erstmal mit einem absolut nicht passenden Rollstuhl an, der auch absolut kein Aktivrollstuhl war, den ich ja aber haben sollte und wollte. Aber gut, war ja nur auf kurze Zeit. Dachte ich.

Die Kasse versuchte mich nach ein paar Wochen mit einem schon fertigen "Aktivrollstuhl" zu vertrösten, der natürlich gar nicht an mich und meinen Körper angepasst war. Ich weiß noch, wie der Mitarbeiter das knallrote Ding aus seinem Transporter holte. Schwarz und unauffällig wollte ich! Der Stuhl erinnerte auch weitaus mehr an die gebrauchte Gurke (zwei hochklappbare Fußstützen; Armlehnen --> super, zum Selbstfahren..👍 u.s.w.), als an den Aktivrollstuhl, der mir vorschwebte und den ich auch beantragt hatte. Nun gut, meine Mama hat einen Widerspruch nach dem anderen geschrieben und sich regelmäßig mit der Krankenkasse und dem zuständigen Sanitätshaus 'angelegt' (danke dafür!), bis ich irgendwann meinen gewünschten Rollstuhl (natürlich im vorher festgelegten finanziellen Rahmen der Kasse) bekommen sollte.

Und das dauerte ewig. Die Sommerferien waren irgendwann vorbei und ich musste anfangs mit der alten Gurke in die Schule. Ich glaube nach ein paar Wochen bekam ich dann tatsächlich meinen Rollstuhl, der irgendwann nochmal ausgetauscht wurde, weil irgendetwas nicht gepasst hatte, aber jetzt habe ich ihn immer noch nach wie vor. Schwer wie ein Elefant und mittlerweile auch reichlich mitgenommen. Im Vergleich zu anderen Aktivrollstühlen ist er groß und sperrig. Vor ein paar Jahren war das völlig okay, da wurde ich, wenn ich mich überhaupt mal auf längeren Strecken außer Haus befand, größtenteils geschoben und wenn ich bei jemandem mitfuhr, wurde er einfach zusammengeklappt und in den Kofferraum geladen.

So weit, so gut. Ich hatte früher oder später alle nötigen Hilfsmittel zusammen, konnte halbwegs 'gut' Rollstuhl fahren und die nötigsten Alltagstätigkeiten selbstständig durchführen. Bald ging es, wie schon erwähnt, wieder in die Schule und das "Leben zu Hause" konnte beginnen..

Freitag, 1. September 2017

Geschichten zwischen Plattenbauten und Hundekacke

Im Januar 2014 ging es dann für mich nach fast 4 Wochen im Krankenhaus in die Rehaklinik. Es handelte sich dabei um eine neurologische Kinder- und Jugendreha. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was mich da erwarten sollte und habe meine ersten Eindrücke im letztens schon zitierten Notizbuch festgehalten. Wieder mal ziemlich weinerlich, aber so war ich damals (meine Eindrücke wirken wahrscheinlich ziemlich negativ; ich muss dazu sagen, dass ich mittlerweile wirklich positiv auf diese Zeit zurück sehe und mir viele Mitarbeiter und Mitpatienten gut in Erinnerung sind):

 24.01.2014

"Nach etwa vier - im Nachhinein fast 'schönen' - Wochen im Krankenhaus wurde ich in die Reha xy verlegt. Irgendwie fiel es mir sogar schwer, das Krankenhaus zu verlassen, weil ich mich dort mittlerweile irgendwie sicher fühlte und ich das Gefühl hatte, dass mich alle ins Herz geschlossen hätten. Die Ärztin und die zwei Schwestern, zu denen ich den besten Draht hatte, haben mir sogar ein Abschiedsgeschenk und eine Karte gegeben. Ich fand das so lieb, ich könnte immer noch heulen, wenn ich daran denke. [...] Tja, am Montag kam ich dann hier an. Erstmal der totale Schock. Ich begegnete nur auf dem Weg von der Rezeption bis in mein Zimmer so vielen Behinderten, wie in meinem ganzen Leben nicht. Und ich kann mit solchen Menschen leider nicht gut umgehen, so leid es mir auch tut [einfach Wahnsinn, wie anders ich damals noch gedacht habe]. Die erste Woche war ziemlich schwierig. Jedenfalls besitze ich (noch) allein ein Doppelzimmer.
Am späten Nachmittag erhalte ich immer meinen Therapieplan für den nächsten Tag. Meine Therapien sind bis jetzt Physiotherapie, Ergo, Rollstuhltraining, Kraftgruppe und naja, Anziehtraining. Natürlich nicht alles an einem Tag. Unterrichtet werden hier nur die Hauptfächer, weshalb ich Angst habe, die Zehnte wiederholen zu müssen. Außerdem äußerte die Physiotherapeutin, dass es möglich ist, dass ich im Hochsommer noch hier bin. Das ist viel zu lange! Ich hatte mir gewünscht, allerspätestens im Mai hier raus zu sein. Super. Jedenfalls bin ich meinen Dauerkatheter [bääh..] los und wir können am Wochenende kurze Ausflüge machen. 

Außerdem kann ich mich jetzt selbst im Bett umdrehen, allein mit einem Rutschbrett in den Rollstuhl rutschen und darf endlich wieder duschen. Zumindest etwas Positives."



Ja gut, ich gebe zu, die ersten Wochen in der Reha waren wirklich hart. Ich realisierte so langsam (und sehr unsanft), dass ich doch nicht so schnell wieder gesund werden würde und klammerte mich oft ziemlich verzweifelt an wirklich jeden Strohhalm, den ich fassen konnte. Zu allem Überfluss war die Klinik zwischen Plattenbauten und Hundekacke gelegen. Spazieren gingen wir immer auf dem nahe gelegenen Friedhof, das war der einzige wirklich schöne Fleck Natur in der Nähe.. Egal.

Es stimmt - ich hatte vor meiner Erkrankung nahezu überhaupt keinen Bezug zu Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen. Und dann sah ich in meinen damaligen Augen so viel 'Leid' auf einmal, das hat mich  wirklich runtergezogen. Ich wollte einfach partout nicht zu 'den Behinderten' gehören und mich auf keinen Fall in irgendeiner Weise damit identifizieren. Ich wollte nicht lernen wie man Rollstuhl fährt, wie man sich kathetert, wie man sich ohne Bein- und Rumpfmuskulatur anzieht und so weiter und so fort.. Glücklicherweise war und bin ich allerdings jemand, der meistens tut, was man ihm sagt und somit musste ich früher oder später anfangen zu lernen, wie ich wieder selbstständig werde. Die ersten drei Wochen war meine Mama mit in der Reha, was auch gut war, aber als sie weg war, fing ich endlich an, Kontakte zu meinen Mitpatienten zu knüpfen.

Und dann ging es bergauf. Meine Situation habe ich damals zwar bei Weitem noch nicht akzeptieren können; jedoch badete ich nicht mehr 24/7 in Selbstmitleid und fing wieder an, wirklich Spaß zu haben. Ich war auf einer Station, auf der größtenteils ältere Jugendliche und junge Erwachsene mit körperlichen Einschränkungen waren. Mit einem von ihnen bin ich heute noch befreundet und wir amüsieren uns auch jetzt, Jahre danach noch über einige sehr komische Situationen mit anderen Patienten. Man hat dort sooo viele verschiedene Menschen kennengelernt, das war teilweise auch echt interessant. Krankheiten oder Unfälle machen nun mal vor niemandem Halt, weshalb da sehr unterschiedliche Menschen aufeinander trafen. Einige Begegnungen hätte man sich sparen können; für andere bin ich wiederum immer noch sehr dankbar. Vieles hat mir damals die Augen geöffnet und ich habe gelernt, dass es mir bei Weitem nicht so schlecht geht, wie ich eigentlich dachte. Ein halbes Jahr habe ich in dieser Rehaklinik verbracht, das prägt einen schon irgendwie. 
Meine Hemmschwelle ist beispielsweise in dieser Zeit auch massiv gesunken. Mich haben so viele Menschen in ganz unangenehmen Situationen splitterfasernackt gesehen.. Das möchte man mit 15 echt nicht, aber who cares? Ging nun mal nicht anders. Heißt natürlich nicht, dass mir ähnliche Situationen nicht mehr unangenehm sind, aber es ist deutlich weniger unangenehm, als vor dieser ganzen Geschichte.

Nach einigen Wochen Reha durfte ich das erste Mal am Wochenende nach Hause, als ich eben so weit war, dass ich mithilfe meiner Familie auch außerhalb einer Klinik zeitweise klar kam. Von da an haben mich meine Eltern einfach jedes Wochenende nach Hause geholt und meistens am Montag vor den Therapien wieder zurück gebracht. 200 km pro Strecke! Ich weiß nicht, wie sie das geschafft haben, aber ich weiß, dass ich ihnen dafür wahnsinnig dankbar bin und vor allem war. Damals hat es mir viel geholfen, den Kontakt nach Hause zu halten und das Wochenende mit Familie und Freunden zu verbringen. Ich finde es gut, dass die Klinik dafür ihr Okay gegeben hat, weil ich mich dadurch langsam wieder an den Alltag zu Hause gewöhnen konnte und wir nach Lösungen für Probleme suchen konnten, die unser nicht barrierefreies Haus zum Beispiel so mit sich brachte.

Auch wenn es mir aus meiner damaligen Sicht wenig erschien, machte ich in diesem ersten halben Jahr viele Fortschritte. Zuerst lernte ich langsam, mich zu kathetern, mich irgendwann selbstständig zu duschen, mich anzuziehen und im Rollstuhl fortzubewegen. Anfangs hatte ich noch starke Schmerzen (keine Ahnung, ob das auch so neuropathische Schmerzen waren; wurde nie geklärt), wenn meine Beine bewegt wurden, weshalb sich Anziehtraining z.B. zu Beginn ziemlich schwierig gestaltete. Irgendwann hörten die Schmerzen jedoch einfach auf und mein Bewegungsumfang in den Beinen nahm wieder zu. Ich erinnere mich noch gut an eine bestimmte Nacht, ein paar Wochen nachdem ich in diese Klinik kam. Im Halbschlaf nahm ich wahr, dass ich meinen rechten Fuß plötzlich irgendwie bewegen konnte, aber war mir nicht sicher, ob ich träumte oder nicht. Am nächsten Morgen konnte ich total glücklich feststellen, dass es kein Traum war (ich dachte, der linke Fuß würde sicher auch bald 'nachziehen'.. Den kann ich aber tatsächlich bis heute absolut nicht bewegen ^^).
Nach und nach lernte ich, wie man mit - und bald auch ohne - ein sogenanntes "Rutschbrett" den Rollstuhl - Bett/Auto - Transfer hinbekommt, das ist nämlich echt schwer, ohne Beine und Rumpf einsetzen zu können. Mit vielen, vielen verschiedenen Therapien konnte ich nach dem halben Jahr meine Knie strecken und beugen, meine Hüfte beugen und meinen rechten Fuß etwas bewegen. Am Unterarmgehwagen konnte ich mit Unterstützung ein paar Schritte gehen. Für meinen Geschmack ging das alles viel zu langsam und ich hatte mir viel größere Fortschritte gewünscht. Meine Physiotherapeutin brachte mich aber oft schnell und unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück und dafür bin ich ihr dankbar. Sie hat mich trotzdem immer weiter ermutigt und sich aufrichtig über meine Fortschritte gefreut. Ich hatte das Gefühl, dass sie nicht nur einfach ihren Job gemacht, sondern wirklich 'mitgefiebert' hat. Ich habe immer noch Kontakt zu ihr.



Cool war, dass einer der Sporttherapeuten ab und an mit einigen Patienten abends in eine andere Klinik zum Rollstuhlbasketball fuhr. Diese Sportart finde ich wirklich sehr interessant, ist aber nicht mein Ding, Werfen und Fangen konnte ich vorher schon überhaupt nicht gut. Aber ein paar Mal war ich auch dabei und sah erwachsene Querschnittgelähmte, die aus ihrer Lähmung kein großes Ding machten und einfach nur Spaß hatten. Für mich damals irgendwie unvorstellbar. Und so langsam realisierte ich, dass es wohl doch gar nicht sooo schlimm sein kann, 'zu den Behinderten' zu gehören..