Donnerstag, 21. September 2017

...von Berührungsängsten, Krüppeln und fehlendem Selbstbewusstsein

Zurück zu Hause zu sein bedeutete natürlich auch, nach den Sommerferien wieder zurück in die Schule zu müssen. Ich wollte unbedingt wieder dort hin, wollte meinen Schnitt halten und die Zehnte auf keinen Fall wiederholen. Ich Streber, ich.. Etwa ein dreiviertel Jahr war ich damals nicht mehr in der Schule gewesen. Da ich aber schon vor meiner Erkrankung nicht gerade schlecht war (Eigenlob stinkt, ich weiß), stimmten wir zusammen mit meinem Schulleiter und meinen Eltern ab, dass ich einfach erstmal weiter in die 11. gehen sollte. Gesagt, getan.

Ungünstiger Weise war meine Schule aber eigentlich so gar nicht barrierefrei. Da sich mein Schicksal mit meiner Erkrankung aber scheinbar ein echt günstiges Timing ausgesucht hatte, wurde meine Schule gerade zu der Zeit renoviert und teilweise neu gebaut, zu der ich gerade in der Reha war. Und natürlich auch mit Fahrstuhl und Behindertentoilette ausgestattet. Echt top. Die Schule musste ich also schon mal nicht wechseln, das hätte mir damals überhaupt nicht gepasst. Zumal ich zu diesem Zeitpunkt einfach null Selbstbewusstsein hatte.

Weil es mir einfach furchtbar peinlich war, allein im Rollstuhl durch die Schule (auch nur ein paar kurze Meter) zu fahren, musste eine gute Freundin mich rund um die Uhr von A nach B schieben. Und wenn sie mal nicht da war oder anders Unterricht hatte als ich, bekam ich Panik. Ich traute mich auch kaum, andere Leute aus meiner Klasse um Hilfe zu fragen und stand mir damit immer einfach nur selbst im Weg. Oft war ich aus Frust ziemlich fies und unfair zu meiner Freundin, was mir im Nachhinein wirklich leid tut, schließlich hätte sie das alles nicht machen müssen. Dankbar war ich ihr trotzdem. Und als die ersten Berührungsängste bei meinen anderen Mitschülern abgebaut waren, wurde ich damit nach und nach etwas entspannter. Allein durch die Schule bin ich trotzdem bis zum Ende des Abis fast nie gefahren und wenn, dann nur sehr ungern.

Ein anderer Punkt, der mir Sorgen bereitete, war der Weg zur Schule und zurück. Die Busse, mit denen ich früher zur Schule gefahren bin, hatten oft Treppen oder mindestens hohe Stufen und waren so voll, dass ein Rollstuhl wahrscheinlich ohnehin schlecht reingepasst hätte. Außerdem hätte ich mich damals nie getraut, allein Bus zu fahren, um Himmels Willen. Also musste ein Fahrdienst her. Und ja, das war anfangs echt so scheiße, wie es klingt. Mit fettem Transporter mit Behindertenaufkleber und lautem Piep Piep beim Rückwärtsfahren. Natalie, der allein die Tatsache, im Rollstuhl zu sitzen, schon endpeinlich war, schämte sich natürlich in Grund und Boden.

Nach gefühlt tausenden Anträgen, Probefahrten und Fahrdienstwechseln wurde ich immer, wenn meine Eltern nicht fahren konnten, mit einem Taxi zur Schule gebracht und wieder abgeholt. Klingt irgendwie luxuriös, war aber auch unangenehm, weil´s natürlich anders als normal war. Aber gut, damit konnte ich mich irgendwann arrangieren und über den einen oder anderen seltsamen Fahrer kann ich jetzt noch lachen.

"Und wie haben deine Mitschüler reagiert?" - Eine Frage, die ich ziemlich oft höre.
Da wir in der elften Klasse sowieso nochmal in neue Klassen - oder von mir aus 'Tutorien' - eingeteilt wurden, mussten wir uns sowieso teilweise neu kennenlernen. Das fand ich damals ziemlich gut, da ich mich in meiner Reha-Zeit mit einigen Leuten aus meiner alten Klasse irgendwie ziemlich verstritten hatte; den Grund habe ich komischer Weise vergessen verdrängt.

Klar, die berühmten Berührungsängste gab es schon, aber trotzdem waren alle freundlich und wirklich hilfsbereit mir gegenüber. Fast alle. Direkt in der ersten Woche bekam ich das erste Mal das Wort "Krüppel" an den Kopf geworfen und war daraufhin ziemlich fertig. Derjenige hat sich ausgiebig bei mir entschuldigt und ich habe ihm verziehen; alles gut und schon längst vergessen. Natürlich beflügelte diese Aktion mein Selbstbewusstsein nicht gerade, aber ich kam damit klar.

Was mich weitaus mehr verletzte war, dass ich bei der Planung der Abifahrt nicht wirklich berücksichtigt wurde. Es sollte nach Kroatien in eine nicht barrierefreie Anlage gehen und damit war ich raus. Ich hatte keine Lust, die ganze Zeit auf Hilfe anderer angewiesen zu sein und mich am Ende wahrscheinlich noch 5x am Tag irgendwelche Treppen hoch und runter schleppen zu lassen. Klar, ich hätte mir 'nen Ruck geben können, irgendwie wär das schon alles gegangen, blah blah.. Nein, wollte ich aber nicht. Und um alternative Lösungen kümmerte sich auch keiner und ich war einfach nur gekränkt und ziemlich zickig. Jedes Mal, wenn dann das Thema Abifahrt auf den Tisch kam, war bei mir schlechte Laune vorprogrammiert.

Sonst lief das Abi aber ziemlich gut. Alles in allem hatte ich eine schöne Zeit und auch, wenn ich wirklich, wirklich froh bin, nicht mehr in die Schule zu müssen, denke ich ganz gern daran zurück.

Am Tag unseres Abiballs wurde es dann nochmal ungewollt schnulzig-emotional. Da ich bei der Zeugnisausgabe in meinem kurzen Kleid nicht im Rollstuhl auf der Bühne sitzen wollte und damals schon so weit war, kurze Strecken auf Krücken laufen zu können, beschloss ich, mein Zeugnis stehend entgegen zu nehmen. Nun ja, was das bei einem ohnehin schon gerührtem Publikum auslöst, ist irgendwo klar.. Das war echt nicht meine Absicht, ich wollte einfach nur nicht im Rollstuhl dastehen und viel Aufsehen erregen. Tja, ging nach hinten los. Also, nicht falsch verstehen; so wie ich das mitbekommen habe, kam das schon ganz gut an. Bloß bekam ich für meinen Geschmack viel zu viel Aufmerksamkeit, die ich ja eigentlich vermeiden wollte, aber daran war ich selbst schuld. Mama und Papa haben sich gefreut und das war die Hauptsache:)

Und dann stand - nein, saß - ich da. Abi vorbei. Und nun?

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