Sonntag, 14. März 2021

Herzblut

Mehr als die Hälfte meiner Famulatur ist geschafft und ich mache mir schon wieder Gedanken darüber, welchen Kuchen ich zum Abschied mitbringen soll. Es wird wohl auf Schoko-Kirsch und Quark-Aprikose hinauslaufen. Diesmal sogar zwei Sorten, das will schon was heißen.

Mir geht seit Beginn des Praktikums kaum etwas anderes als das Studium und meine Zukunft in demselben und vor allem als (hoffentlich irgendwann) Ärztin durch den Kopf. Deshalb schreibe ich hier auch so viel über ein eigentlich recht unspektakuläres Pflichtpraktikum, weil es mir guttut, meine Gedanken dazu schwarz auf weiß sortiert zu sehen.

Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich in den letzten Tagen den Satz gehört habe: "Oh, achso, ich dachte Sie sitzen da nur vorübergehend drin!" Wirklich, mindestens zwei mal am Tag werde ich gefragt, wie ich mich denn verletzt habe. Wahlweise wird sonst auch gedacht, ich wäre eine Krankenschwester, die sich aus Jux mit 'nem Rollstuhl über die Station bewegt. Ein Patient dachte, ich bringe ihm auf diese Weise einen Krankenhausrollstuhl ans Bett. Und eine andere Patientin fand es schön, dass man mich trotzdem in der Klinik arbeiten lässt. Joa, find' ich auch. 

Ich gebe mir wirklich Mühe, nicht allzu viel darüber zu grübeln, was Ärzte und Pflegepersonal (und auch Patienten) über mich denken und versuche so wenig wie möglich in Ihre Verhaltensweisen mir gegenüber hinein zu interpretieren. Aber ein bisschen argwöhnisch betrachtet werde ich ab und an von ein paar Leuten schon, finde ich. Aber jetzt nach der dritten Woche trauen sich auch die skeptisch Wirkenden nach und nach zu fragen, weshalb ich im Rollstuhl sitze und so weiter. Zwei Krankenschwestern wollten es wirklich ganz genau wissen und stellten mir alle erdenklichen Fragen, nachdem die erste Unsicherheit abgelegt war. Von "Wie heißt Du eigentlich?" bis "Wie finden Männer Dich seitdem?" und "Wie ging es Deinen Eltern damit?" innerhalb von 5 Minuten. Man merkt richtig, dass der Umgang danach entspannter ist, wenn das Eis einmal gebrochen ist. Ist ja logisch. Das zeigt mir aber wieder einmal die üblichen Berührungsängste, die ich - naiv wie ich mit 18 war - zu umgehen geglaubt habe, als ich mich für das Medizinstudium entschieden habe. 

Aber damit kann ich gut leben, wenn mir trotzdem Etwas zugetraut wird und man mich ernst nimmt. Und das ist größtenteils der Fall. Ein besonderes Positiv-Beispiel habe ich in der letzten Woche erlebt: Ich durfte mir für einige Tage die Arbeit im Vorbereitungsraum für die Operationen anschauen und auch ein wenig "mithelfen". Meine Unterstützung wäre sicher verzichtbar gewesen, aber ich konnte immerhin ein paar Erfolgserlebnisse in Sachen Flexüle-Legen verzeichnen. 

Viel mehr kann man als Student dort allerdings nicht machen, da die Anästhesie selbstverständlich durch die Anästhesisten durchgeführt wird. Es war zwar absolut interessant, dabei zuzuschauen, aber letztendlich beschränkte sich meine Hauptaufgabe mal wieder darauf, die wirklich sehr liebe und geduldige Änasthesieschwester immer wieder zu fragen: "Gibt´s etwas zu tun, kann ich was helfen?" und so wenig wie möglich im Weg zu stehen. Scheinbar haben das auch andere gemerkt und in der letzten Woche sprach mich einer der Chirurgen an, ob ich denn nicht mal mit in den OP kommen möchte, statt mir die ganze Zeit "das Gesteche" anzugucken. Klar wollte ich das, aber ursprünglich war mit dem Chef der Anästhesie besprochen, dass der OP für mich aufgrund hygienischer Aspekte Tabu ist. Der Chirurg meinte, bei Arthroskopien  wäre es hygienisch in Ordnung, wenn ich am Rand des Saals stehe und nahm mich kurzerhand mit hinein. Ungewöhnlicherweise fragte er nicht nach dem Grund für meine Querschnittlähmung, sondern sagte direkt "Was wollen Sie denn mal machen? Chirurgie würde sicherlich auch gehen, aber dann muss man da wahrscheinlich schon mit viel Herzblut rangehen." 

Er sagte wirklich "Chirurgie würde sicherlich auch gehen". Der Erste, der nicht von Vornherein das, das und das ausgeschlossen hat. Das hat mich in unerwartetem Ausmaß gefreut. Mit dem Herzblut hat er recht, da bin ich mir sicher. 

Genauso gefreut hat mich natürlich auch, dass er mir sehr viel zur OP erklärt hat und anbot, die interessanten Arthroskopien in der kommenden Woche herauszusuchen und mich dorthin mitzunehmen. Ich weiß, eine Arthroskopie ist nicht gerade die spektakulärste Operation, so sagte er es auch selbst, aber er hat sich dazu gedacht, dass Eingriffe dieser Art über den dabei verwendeten Bildschirm für mich optimal zu verfolgen sind, wohingegen ich bei  Operationen des Bauchraums beispielsweise vom Rollstuhl aus keine Chance habe, etwas zu sehen. Ganz abgesehen natürlich immer noch von der Hygiene, die bei jedem größeren Eingriff nicht ausreichend gewährleistet wäre. Es hat mich wirklich gefreut, dass er sich darüber Gedanken gemacht hat und von sich aus auf mich zu kam, selbst wenn ich mein Praktikum nicht mal in seinem Fachbereich mache. Nachtrag: Letztendlich wurde mir sogar ermöglicht, bei Hand- und Sprunggelenk-OPs zu assistieren. Dafür schob mich eine Anästhesiepflegerin nach dem chirurgischen Waschen an meinen Platz und der Rollstuhl und ich wurden vollständig vom sterilen Kittel umschlossen; ich sah aus wie Mutter Birnbaum. Der Rest funktionierte dann ganz unkompliziert. Noch ein Erfolgserlebnis. 


Einer meiner Rollstühle blieb aus hygienischen Gründen
für die gesamte Zeit des Praktikums im Krankenhaus.


Nun. Ich habe bisher viel gelernt, viel gesehen und vor allem auch gemerkt, dass ich trotz allem ernst genommen werden kann, sofern es für beide Seiten eine gewisse "Eingewöhnungszeit" gab. Und ich werde bestimmt entspannter und selbstbewusster in die nächste Famulatur starten. Vielleicht. Ein bisschen zumindest.

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