Samstag, 27. Februar 2021

tapfer weggeblinzelt

Zwischenbericht nach der ersten Praktikumswoche:

Teilweise haben sich meine Befürchtungen bestätigt, teilweise nicht. Ich kann definitiv sagen - Man ist als rollstuhlfahrender Famulant schon ein kleiner Hingucker. Ob nun im positiven oder im negativen Sinne können nur diejenigen sagen, die mich gesehen haben ;)

Nein, Spaß beiseite. Die Aufmerksamkeit, die mir aufgrund des Rollstuhls in den letzten Tagen zuteil wurde, war nicht immer angenehm. Ein paar mal wurde bei meinem Anblick laut gelacht, weil Einige dachten, ich hätte mich "einfach so" in einen Rollstuhl gesetzt (wer macht das denn bitte??), wodurch mir einmal tatsächlich ein kleines Tränchen im Augenwinkel saß; das habe ich aber ganz schnell tapfer weggeblinzelt und freundlich mitgelacht. Einmal wurde laut in die Runde gefragt: "Was ist denn mit ihr? Ist sie verletzt?" Anscheinend sehe ich noch so blutjung aus, dass ich nicht für mich selbst sprechen kann. Bei der allseits beliebten Diskussion über die zukünftige Facharztwahl wurde sofort die Chirurgie ausgeschlossen, bevor ich überhaupt einen Mucks sagen konnte, weil "das geht ja eh nicht." Geht wohl! Aber darüber wollte ich schüchtern wie ich manchmal bin niemanden aufklären und habe nur zustimmend genickt.

Aber: Beschweren kann ich mich nicht. Mir wird viel erklärt und gezeigt, selbst wenn es gerade stressig ist. Ich werde von allen wahrgenommen (das Gefühl hat man als Praktikant ja nicht immer..) und mir werden zum Glück keine schwierigen Fragen gestellt. Und wenn ich Irgendetwas nicht weiß, wird es mir beigebracht. 
Ein bisschen mehr Eigeninitiative muss ich dennoch an den Tag legen; vor allem, wenn ich praktische Fertigkeiten dazulernen möchte. Ich habe schon das Gefühl, ein bisschen unterschätzt zu werden. Mir wird jede Tür geöffnet, jeder Stuhl wird sofort zur Seite geräumt und wenn bei irgendwelchen ärztlichen Tätigkeiten gerade keine Schwester zum Anreichen anwesend ist und ich nichts tuend daneben sitze wird lieber nach der Schwester gerufen, statt zu sagen "Natalie, kannst du mal xy aus dem Schrank geben?". 

Aber nun hatte ich ja ein paar Tage "Eingewöhnungszeit" um aufzutauen und mich zu trauen, meine Hilfe öfter anzubieten und um hoffentlich einschätzen zu können, wann Zeit zum Fragen stellen ist und wann ich stören könnte. Momentan besteht meine Aufgabe nämlich noch hauptsächlich daraus, möglichst wenig im Weg zu stehen. Allerdings muss man in der Hinsicht auch ehrlich sagen, dass ich gerade auf einer Intensivstation wirklich nicht allzu viel machen kann. Da bin ich tatsächlich etwas zu eingeschränkt was Flexibilität, Mobilität und Schnelligkeit angeht. Schnell ins Zimmer rennen zum Reanimieren funktioniert nicht (nicht, dass man das als Student machen müsste, aber mal so perspektivisch). 

Dennoch ist es eine sehr interessante Erfahrung in die Arbeit dort hineinzuschnuppern und so viele verschiedene Krankheitsbilder, Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten live zu sehen, statt immer nur im Lehrbuch darüber zu lesen. Auf jeden Fall waren die ersten Tage sehr spannend - als ich das erste Mal eine Reanimation in der Realität gesehen habe, hat meine Nebenniere so viel Adrenalin ausgeschüttet, dass es wahrscheinlich für den Patienten gleich mit gereicht hätte. Und das nur in der Ecke stehend beim Zusehen..
Dass den Pflegern, Schwestern und Ärzten dort kein zweiter Kopf gewachsen ist bei dem Ausmaß an Wissen, das sie scheinbar stets und ständig mit sich rumtragen, wundert mich.

Jedenfalls haben mir die ersten paar Tage schon gezeigt, dass es für die Meisten einfach ungewohnt ist, im Krankenhaus Mitarbeiter mit einer offensichtlichen Behinderung um sich zu haben. Der Arzt ist der, der Andere (im besten Fall) gesund macht und nicht der, der selbst krank ist. Aber das Beste, was ich dagegen machen kann, ist weiterhin ganz normal mit größter Selbstverständlichkeit meinen Weg zu gehen (zu fahren!) und zu hoffen, dass mich irgendwann die meisten im Haus kennen und es akzeptiert wird und man merkt, dass ich nicht besser und nicht schlechter als alle Anderen auch bin. Und wenn ich schlechter sein sollte, dann liegt das sicher nicht am Rollstuhl. 
Ich weiß schon, mimimi. Es ist ja irgendwo klar, dass bisher noch niemand daran gewöhnt ist und es auch in Zukunft nicht großartig anders werden wird, einfach weil Rollstuhlfahrer den Fußgängern nunmal zahlenmäßig zum Glück unterlegen sind und auch nicht jeder Rollstuhlfahrer auf die Schnapsidee kommt, Arzt werden zu wollen. Aber mich beschäftigt die Sache doch mehr als gedacht, weil mein normales Umfeld und ich schon sehr gut an meine Behinderung gewöhnt sind und es für mich wieder ein kleiner Rückschritt oder zumindest eine Umstellung ist, wenn ich plötzlich wieder auf so viele neue Leute treffe, die mich eben nicht kennen.
Das Positive: In dieser Famulatur lerne ich also nicht nur fachlich dazu, sondern wachse hoffentlich auch persönlich ein bisschen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen