Mittwoch, 20. Dezember 2023

1. Jahrzehnt

 20.12.2013: 

Ich liege schon seit einer ganzen Weile auf der Trage, mit der mich der Rettungsdienst in die Notaufnahme gebracht hat. Ich habe eine Infusion gegen die starken Rückenschmerzen bekommen und mir geht es den Umständen entsprechend gut. Ich habe meinen alten, löchrigen rosa Pulli und meine dunkelgraue Jogginghose an, weil ich heute eigentlich krank geschrieben war und ich es mir zu Hause gemütlich machen wollte. Meine Mama steht links von mir und wird langsam ein bisschen ungeduldig, weil die Notaufnahme immer voller wird und immer noch kein Arzt bei uns war. Ich schreibe meiner Reitlehrerin eine Nachricht, dass ich heute Nachmittag nicht zum Stalldienst kommen kann, weil ich irgendwie meine Beine nicht bewegen kann. Irgendwann kommt eine freundliche, sichtlich gestresste Kinderärztin an die Trage und sagt "Dauert noch einen Moment, wir müssen erst zu einer anderen Patientin. Der geht's schlechter." Irgendwann werden wir abgeholt, ich werde untersucht, irgendjemand sagt etwas von 'Notfall-MRT'. Es wird zunächst keine Ursache gefunden, ich muss da bleiben. Vielleicht ist es ja einfach "nur" psychogen und morgen früh wieder verschwunden; sowas kommt bei jungen Mädchen hin und wieder vor, sagt man mir. 


20.12.2023:

Ich bin wieder in der Notaufnahme. Bin im Rollstuhl unterwegs. Habe Hunger, bin zittrig von dem zu starken Kaffee, den ich morgens in der Fortbildung getrunken habe. Ich bin im letzten Jahr meines Studiums angekommen, dem Praktischen Jahr. Ich rufe Patienten im Wartebereich auf. Heute bin ich diejenige, die den Wartenden sagt, dass es noch einen Moment dauern wird. Ich befrage Patienten zu ihren Beschwerden; untersuche Hüften, Knie, Schultern, Hirnnerven, Wunden. Ich bin noch weit entfernt von Routine, aber fühle mich immerhin nicht mehr so unsicher wie am Anfang. Zwei Drittel der praktischen Ausbildung sind fast schon vorüber und meine Angst vor dem bevorstehenden letzten Staatsexamen wächst allmählich. Hoffentlich klappt alles und ich bestehe im ersten Versuch. Als ich abends müde vor meinem Laptop sitze und aus Sentimentalität die Fotos aus der Zeit im Krankenhaus von vor 10 Jahren durchklicke, verdrücke ich eine Träne, weil es mir rückblickend so leid tut, wie viel meine Familie in der Zeit aushalten musste. Ich bin dankbar, wie sich mein Leben in der Zwischenzeit entwickelt hat und bin unfassbar froh, immer noch dieselben Leute an meiner Seite zu haben, die mir damals den Rücken gestärkt haben und dass ich noch einige weitere Menschen von dieser Sorte dazu gewonnen habe! 

Und fast genauso froh bin ich über die Tatsache, dass ich in 10 Jahren nur ein einziges Mal unterwegs einen Platten hatte!

Auf die nächsten 10, Prost! 


Mittwoch, 15. Februar 2023

Überall nur Kranke!

Neulich war ich zampern. Nein, "zampern" ist kein Jugendwort des Jahres, sondern ein ursprünglich sorbischer Brauchtum, der jedes Jahr zur Zeit der Fastnacht in zahlreichen Dörfern der Lausitz zelebriert wird. Die Zampergesellschaft zieht dabei zusammen mit einer kleinen Blaskapelle von Haus zu Haus, erbittet Speck und Eier und legt ein Tänzchen mit den Hausbewohnern ein. Vor allem darf eines nicht fehlen: Schnaps. Jeder trägt an einem Band ein kleines Gläschen um den Hals und regelmäßig wird darin Hochprozentiges eingeschenkt. So auch letzten Samstag. In diesem Jahr wurde ich von der Familie einer guten Freundin eingeladen, in einem Dorf mit zu zampern, welches nicht mein Heimatort ist und mich dementsprechend auch niemand kannte. Als wir uns zu Beginn vor der örtlichen Feuerwehr trafen, wurde ich freundlich, aber zunächst etwas zurückhaltend begrüßt - kein Problem, das kenne ich ja schon. Wann geht schon mal jemand in einem fremden Dorf zum Zampern? Und Rollstuhlfahrer sind für Viele auch nicht so oft präsent. Für mich war an diesem Tag allerdings der Unterschied im Verhalten der Anderen mir gegenüber bevor und nachdem das Eis einmal gebrochen war (beziehungsweise die Hemmschwelle durch Glühwein & Goldkrone ausreichend gesenkt war) extrem deutlich. Es gab einen Punkt, da trauten sie sich plötzlich mir Fragen zu stellen und mir gefühlt 20 Mal anzubieten, mich zu schieben. Für mich ist der Umgang dann viel leichter, weil ich mich nicht mehr so fühle, als würden die anderen sich in meiner Nähe unwohl fühlen oder hätten Schwierigkeiten, wie sie sich mir gegenüber verhalten sollen. Was mir an diesem Tag wieder aufgefallen ist und Anlass für diesen Text hier gab, war aber die Tatsache, dass Menschen die mich neu kennenlernen ganz oft dazu neigen, mir direkt ungefragt ihre eigene Krankengeschichte zu erzählen. 

"Unfall gehabt?" 

- "Nee, ich hatte eine Erkrankung, eine Rückenmarksentzündung."

"Ouuh, das ist ja schlimm. Steht mir vielleicht auch bevor, ein Leben in so einem Ding. Bandscheibenvorfall."

Ah, ok, noch stehst du aber ganz quietschfidel neben mir und scheinst die ersten 65 Jahre deines Lebens im Gegensatz zu mir aber auf zwei Beinen verbracht zu haben. Hab ich natürlich nur gedacht und nicht gesagt. Ich würde behaupten, dass ich mich gut in Menschen hineinversetzen kann und auch meistens viel Empathie aufbringe, wenn mir jemand sein Leid klagt. Aber man, warum? Genauso letztens im Zug. Ich lerne aktuell für mein zweites Staatsexamen und vor allem Zugfahrten nutze ich dafür ganz gerne. Bis mich eine Rollstuhlfahrerin neben mir ansprach, ob mein Rollstuhl faltbar sei und wo ich diesen herbekommen habe. Die Antwort wartete sie gar nicht so richtig ab, denn eigentlich wollte sie mir damit nur mitteilen, dass ihre Krankenkasse die Kostenübernahme für ihren Rollstuhl mehrmals abgelehnt hatte, sodass sie ihn mit Hilfe ihrer Familie selbst finanziert hat. Ohne zu fragen erfuhr ich in dem Zusammenhang ebenfalls ihre Krankengeschichte und Details aus ihrem Liebesleben. Die Bekanntschaft mit ihr war tatsächlich sehr nett und sie tat mir ziemlich leid, da sie wirklich schwer erkrankt ist und gerade eine verdammt schwere Zeit durchzumachen scheint. Und vielleicht haben diese Menschen auch einfach niemanden in ihrem Umfeld, der Gehör für ihr Leid findet. Ich frage mich bloß, warum mir in dieser Situation schon vorab ein offenes Ohr zugeschrieben wird. Weil ich so warmherzig und nett aussehe oder weil man sich denkt "Oh, die muss wissen wie es ist zu leiden!" ?

Erst heute hatte ich wieder eine Begegnung aus einer ähnlichen Kategorie. Ich war zum Lernen in der Stadtbibliothek und musste zwischendurch halt mal zur Toilette. Auf dem Weg dort hin bekam ich schon am Rande mit, wie eine ältere Frau mit Gehstützen einem Bibliotheksmitarbeiter von ihrer Gehbehinderung erzählte. In der Damentoilette angekommen durfte ich direkt wieder umdrehen, da Frauen in dieser Bibliothek irgendwie die Angewohnheit haben, gern auf die einzige Behindertentoilette zu gehen, selbst wenn direkt nebenan 5 (!!) freie Kabinen zur Verfügung stehen. Die ich allesamt nur schwer nutzen kann, weil die Türen so schmal sind. Gut, ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob die Dame heute vielleicht wirklich auf die Behindertentoilette angewiesen war, aber die letzten Male kamen immer Frauen ohne Rollstuhl mit erschrockenem Gesicht heraus "Oh, ich wusste nicht, dass sie warten; hätten sie doch mal geklopft!" Na klar.. Jedenfalls wollte ich den Raum zu den Toiletten gerade wieder verlassen und erschrak mit einem lauten "Huch!", weil direkt vor der Tür die vorhin erwähnte ältere Frau mit ihren Krücken stand und im Begriff war, die Tür zu öffnen. Ich hatte halt einfach nicht erwartet, dass dort jemand steht, man kennt's. Die Frau entschuldigte sich ausführlich, ich versicherte ihr, dass alles gut sei und sie lachte und deutete auf den Rollstuhl: "Überall nur Kranke! Aber ich kenn' das, mir geht's genauso wie Ihnen." Ähm, ich glaube nicht? Ja, ich definiere mich schon irgendwie stark über meine Behinderung, aber in erster Linie sehe ich mich nicht permanent als Kranke und fühle auch keine Connection, wenn ich andere "Kranke" im Alltag treffe...

Und wo ich doch gerade bei Situationen im Umgang mit mir bin, die mich im Nachhinein noch irgendwie ein bisschen aufregen, kommt hier jetzt noch ein ganz persönliches Schmankerl, über das ich noch nicht geschrieben habe, obwohl es wahrscheinlich eine der seltsamsten und irgendwie auch verletzendsten Aussagen mir gegenüber war. Es ist jetzt schon ein Jahr her, ich absolvierte ein Praktikum in einem allgemeinmedizinischen MVZ. Es war mein zweiter Tag, dementsprechend aufgeregt war ich noch und kannte die dort arbeitenden Ärzte nicht alle. In der Nachmittagssprechstunde sollte ich mich bei einer schon älteren Hausärztin mit ins Sprechzimmer setzen und bei der Versorgung ihrer Patienten hospitieren. So weit, so gut. Die Dame ist eine Hausärztin, die jahrzehntelang auf dem Dorf tätig war und ihre Patienten in drei Generationen kennt und genauestens weiß wer wie mit wem verschwägert ist und seit wann er welchen Blutdrucksenker einnimmt. Davor habe ich großen Respekt. Sie ist auch nicht auf den Mund gefallen und "traute" sich als Erste in der Praxis, mich auf den Rollstuhl anzusprechen. Ich merkte auch schnell, dass sie ihren Patienten gegenüber ebenfalls sehr direkt war: "Ich dachte das wäre nur die Jacke, aber Sie sind ja wirklich so dick." war nur eine der fragwürdigen Äußerungen, die sie im Laufe des Nachmittages traf. Jedenfalls lief es immer so, dass sie nach der Sprechzeit mit einem Patienten das Zimmer verließ um den nächsten Patienten aufzurufen. Dabei ließ sie die Tür offen stehen, sodass man mich vom Flur aus im Sprechzimmer schon sitzen sehen konnte. Und irgendwann begann sie, die Sprechstunde mit jedem Patienten beim Betreten des Zimmers damit zu beginnen, dass sie mit ausgestrecktem Arm auf mich zeigte und zum Patienten sagte: "Sehen Sie?! Auch Ärzten geht es schlecht!!" Sowohl keiner der Patienten als auch ich wussten darauf eine Antwort. 

Manchmal frage ich mich dann: Müsste es mir vielleicht schlechter gehen? Habe ich so einen niedrigen Anspruch an mein Leben, dass mich meine Einschränkung nicht so sehr stört, wie sie Andere scheinbar stört? Müsste ich mehr Kämpferin sein? Aber mein Leben ist kein Actionfilm mit Bruce Willis und ich will nicht permanent kämpfen oder leiden oder was auch immer von mir erwartet wird, sondern es ist mein Leben, das ich einfach möglichst genießen will. Handelt es sich um Aufgeben, wenn man so etwas Ähnliches wie Frieden mit sich und seinem Körper schließt? Ich finde nicht. Im Rahmen meiner Möglichkeiten versuche ich ja das Beste aus meinen erhaltenen Funktionen herauszuholen und würde mich in der Hinsicht auch als ehrgeizig beschreiben. Aber definitiv geht es mir - zum Glück - nicht so schlecht, dass ich fremden Menschen von meinen Problemen erzählen möchte oder als bemitleidenswertes Beispiel genutzt werden möchte, um Patienten zu zeigen, dass sie nicht die einzigen sind, denen es mal nicht gut geht. Ich glaube jetzt, ein Jahr später wäre ich selbstbewusst genug so eine Aussage nicht mehr wortlos hinzunehmen. Ich bin mir sicher, dass die Ärztin mich und meine Situation nicht explizit abwerten wollte, aber genau das hat sie damit getan. Es wird Zeit, dass solche Leute verstehen, dass das Leben von Menschen mit offensichtlichen körperlichen Einschränkungen bei weitem nicht zwangsläufig trauriger und weniger wert ist, als ihr eigenes. 

Mittwoch, 18. Januar 2023

Stolz & Vorurteil

Es ist immer sehr authentisch, wenn man seinen Blog-Eintrag nach einem weltbekannten Roman benennt, den man selber nie gelesen hat. Trotzdem mach ich's, weil der Titel sehr gut zu den Dingen passt, die ich heute mal wieder von mir geben möchte. 

Nun habe ich zum ersten Mal seit 5 Jahren versäumt, am 20.12. meinen obligatorischen Da-wurde-ich-krank-Gedenkblogeintrag zu verfassen, aber ich hätte ehrlich gesagt auch einfach nicht gewusst, worüber ich hätte schreiben sollen. Für mich hatte sich hinsichtlich meiner Behinderung seit dem vorangegangenen Jahr nichts geändert - dachte ich zuerst. Irgendwie hat sich natürlich eine Art Plateau eingestellt, da es schon längst nicht mehr wie in den Anfangsjahren irgendwelche neurologischen Meilensteine gibt und ich wie von Zauberhand einen längst verschollenen Muskel plötzlich wieder bewegen kann - seien wir ehrlich, das wird auch einfach nicht mehr von sich aus passieren. Wenn ein Muskel über so einen langen Zeitraum (einfach schon 9 Jahre..) nicht regelmäßig einen Reiz über den ihn versorgenden Nerv erhält, zeigt der Körper seine ökonomische Seite und baut das Ding kurzerhand zu größtenteils Bindegewebe um und lagert Fett ein. Dieser Vorgang wird mitunter auch "fettige Degeneration" genannt, na schönen Dank auch. 

Als ich dann zur Zeit des Jahreswechsels ein bisschen genauer darüber nachgedacht habe, habe ich gemerkt, dass ich im letzten Jahr doch einige Verbesserungen zu verzeichnen hatte, auch wenn sie mir auf den ersten Blick gar nicht als so prägnante Meilensteine vorkamen, wobei sie letztendlich für mich und meine Lebensqualität aber eigentlich umso bedeutender sind. In der Physiotherapie haben wir schon seit geraumer Zeit den Fokus auf das Laufbandtraining und die Verbesserung meiner Stützkraft gesetzt, damit ich schlussendlich längere Strecken mit Krücken zurücklegen kann. Und genau dieses Ziel haben wir erreicht und darauf bin ich ein klitzekleines bisschen stolz. Zurückblicken kann ich im letzten Jahr daher auf richtig schöne Erlebnisse, die ich ohne diesen Trainingsfortschritt nicht geschafft und mir vor allem noch vor einiger Zeit niemals zugetraut hätte. Ich konnte mit Freunden barfuß im Ostseesand spazieren, einen norwegischen Gletscher aus der Nähe betrachten, auf mehreren Bergen in den Alpen unterwegs sein und habe endlich ein lang ersehntes Ziel erreicht und einen Sonnenaufgang von einem Berg der sächsischen Schweiz aus bewundern können, zu dem ich zu Fuß aufgestiegen war. Das alles war nur möglich, weil ich viel Unterstützung von Freunden oder Familienmitgliedern hatte, die nicht müde wurden mir den Rollstuhl irgendwelche Treppen hoch zu tragen, ihn ewig weit mit zu schieben (oder sogar auf dem Rücken zu tragen), weil ich Angst hatte, dass er sonst geklaut werden würde und die sich darauf eingelassen haben, in meinem Schneckentempo unterwegs zu sein. 

All das hilft mir natürlich auch im Alltag weiter - wenn ich die Stufen in Omas Haus mit Krücken reingehe, bin ich nicht darauf angewiesen mir von jemandem helfen zu lassen. Wenn ich meine Freundin im 3. Stock besuche, muss sie die anstrengendere Arbeit erledigen und den Rollstuhl tragen, während ich am Geländer nach oben laufe und so weiter. Um das mal in Zahlen auszudrücken: Vor etwa einem Jahr war ich sehr froh wenn ich es geschafft hatte, 6 Minuten auf dem Laufband zu gehen. Vor 2 Wochen haben wir dann die 60 Minuten Marke geknackt! Klar, wenn wir auf irgendwelchen Bergen unterwegs waren, waren wir auch länger als eine Stunde dort, aber da konnte ich zwischendurch stehen bleiben oder mich auf den Boden setzen, wenn ich eine Pause brauchte. Laufband ist für mich nochmal eine ganz andere Nummer. Ich glaube jeder kann sich vorstellen, dass es ein ziemlich gutes Gefühl ist, wenn man weiß, dass man in der Lage ist, eine Stunde unterwegs auf zwei Beinen auszuhalten. Danach waren meine Arme allerdings aus Pudding und ich schwitzte wie nach einem Saunabesuch, aber meine Ausgangssituation ist ja auch eine andere. Das nächste Ziel ist übrigens Fahrradfahren.

Aufgrund meines leicht entenähnlichen Ganges war es mir bisher ziemlich unangenehm, vor anderen Leuten zu laufen, was ich in letzter Zeit allerdings glücklicherweise auch etwas ablegen konnte. Es wär ja auch schön blöd, so atemberaubende Ausblicke zu verschmähen, nur weil auf dem Weg dahin irgendwer mein Gangbild komisch finden könnte. Und da sind wir auch schon beim Thema Vorurteil angekommen. Ich habe Vorurteile, dass Leute mir gegenüber Vorurteile haben könnten - hä? Oft habe ich den Eindruck, dass meine Situation in den Augen Anderer eher bemitleidenswert ist und sich mit mir meistens nur gefreut wird, wenn ich zeige, dass ich doch irgendwie laufen kann. Ich will aber mit den Erlebnissen, die ich genannt habe, nicht angeben oder bewundert oder beneidet oder bemitleidet werden, sondern zeigen wie schön und normal alles sein kann - ob nun auf vier Rädern oder mit 2 Krücken an den Armen. Ich möchte nicht die starke Persönlichkeit sein, die sich "zurück ins Leben kämpft", denn mein Leben ist bereits sehr lebendig. Ich freue mich einfach und bin sehr dankbar dafür, mittlerweile fit und auch mutig genug zu sein, Dinge zu unternehmen von denen ich lange geglaubt habe, dass ich nie wieder dazu in der Lage sein würde. Manchmal übersieht man sogar offensichtliche Fortschritte, weil sie sich anders zeigen, als man es sich selbst vorgestellt hat - umso schöner ist das Gefühl, wenn man sie dann doch endlich entdeckt. 




Montag, 20. Dezember 2021

Gute Momente, schlechte Momente

Heute ist es schon wieder so weit. Der einzige Abend, an dem ich relativ verlässlich regelmäßig jedes Jahr vor meinem Laptop sitze und einen neuen Blogpost verfasse. Immerhin ein bisschen Regelmäßigkeit! Problematisch ist dabei, dass ich mir meine älteren Beiträge aus Scham nicht mehr durchlese und leider einfach vergesse, was ich im letzten Jahr so zum Thema Querschnittlähmung von mir gegeben habe. Vielleicht lasse ich eines Tages mal die 20.-Dezember-Texte Revue passieren und werde sehen, ob sich meine Sichtweise in irgendeiner Art entwickelt hat, oder ob ich in jedem Jahr ungefähr dasselbe schreibe. Es ist nicht so, dass ich diesen Tag besonders zelebriere oder dass er eine große emotionale Bedeutung für mich hat. Aber es ist einfach ein guter Anlass, um über die Sache nachzudenken und darüber, ob sich im vergangenen Jahr meine Perspektive in Bezug auf meine Situation verändert hat. 

Und wenn ich jetzt mal so ganz besonnen in mich gehe, kann ich sagen: Nö. Alles wie immer. Ich würde es so beschreiben, als hätte sich ein Gleichgewicht eingestellt. Es gibt gute Momente und es gibt schlechte Momente, mal mehr gute als schlechte und mal andersherum. In den guten Momenten nehme ich meine Einschränkungen kaum wahr oder sie stören mich schlichtweg weniger als sonst. Ich fühle mich dann selbstbewusst und bin stolz auf das, was ich bisher so geschafft habe. In den schlechten Momenten fühle ich mich ungenügend in jeglicher Hinsicht, fühle mich im wahrsten Sinne des Wortes behindert und halte mir permanent vor Augen, wie viel leichter das Leben wäre, hätte ich die Querschnittlähmung nicht. Aber damit bin ich ganz sicher nicht allein, denn jeder hat sein Päckchen zu tragen, wie es so schön abgedroschen heißt. Oder wie meine Oma zu sagen pflegt: "Unter jedem Dach ein Ach." 
Egal ob Rollstuhlfahrer oder nicht, schlechte Momente hat wahrscheinlich Jeder mal; der eine häufiger, der andere seltener, nur die Ursachen unterscheiden sich. Aber an Tagen wie heute kann ich mir leichter vor Augen führen, was sich in den letzten Jahren getan hat. Grübeleien wie "Warum ich? Wie soll mein Leben funktionieren? Werde ich je wieder normal laufen können?" sind überhaupt kein Thema mehr und das ist schon mal eine immense Erleichterung, wenn man sich nicht ständig über eine Sache grämt, die man ohnehin nicht grundlegend ändern kann. Sondern wie immer nur die eigene Einstellung dazu. Kluge Worte für Jemanden wie mich, der zu oft in seiner Badewanne voller Selbstmitleid versinkt, aber ich gelobe Besserung und bin guter Dinge. 

Gerade heute habe ich mir einen neuen Rollstuhl anpassen lassen. Genauer gesagt wurde erstmal Maß genommen und die wichtigsten Dinge bezüglich der Ausstattung besprochen. Vor mir liegen wahrscheinlich ein paar mehr oder weniger anstrengende Briefwechsel und Telefonate mit meiner Krankenkasse, aber ich hoffe gutgläubig wie ich bin einfach auf Kulanz und Großzügigkeit seitens der Kasse. Und was soll ich sagen - ich freue mich auf einen Rollstuhl, verrückt. 

Als meine Beraterin im Sanitätshaus mich mehrmals bat, mich aus meinem Rollstuhl umzusetzen oder hoch zu stützen, um verschiedene Längen abzumessen, sagte sie: "Du musst dich jetzt hier wahrscheinlich noch ein paar Mal hin und hersetzen. Aber das geht ja fix, du hast ja eigentlich echt 'nen Luxusquerschnitt." Da hat sie recht und dafür bin ich gerade heute auch wieder dankbar. Heute ist ein guter Tag.

Montag, 25. Oktober 2021

Über Stock & Stein

Vor dreieinhalb Jahren habe ich hier in einem Blogpost darüber geschrieben, dass ich auf Hobbysuche bin und gerne wandern würde. Dabei habe ich mich darüber aufgeregt, dass Einem als Rollstuhlfahrer nur die Wanderwege zur Verfügung stehen, die durch ihre Einfachheit bedingt von sehr vielen Menschen genutzt werden. 

Richtige Hobbys sind zwar seitdem keine neuen dazu gekommen, aber "wandern" war ich in letzter Zeit mal wieder öfter. Dabei habe ich Routen genutzt, die offiziell als barrierefrei gelten, sofern man Wege in freier Natur in einem Nationalpark als barrierefrei betiteln kann. Wurzeln, Stöcke, Steine, Pfützen – die einfachsten Dinge können Hindernisse darstellen; es braucht dazu nicht immer gleich eine Treppe. Selbst einfache Routen sind für mich alleine daher schwierig zu bewältigen, aber ich erhalte dabei zum Glück tatkräftige Unterstützung von meiner Familie. 

Wir sind langsam ein eingespieltes Rollstuhlwanderteam und wissen, dass ein „etwas unwegsamerer Abschnitt“ in der Routenbeschreibung teilweise sehr viel Anstrengung kosten kann. Mein jetziges Ich würde sich nicht mehr so sehr darüber aufregen, dass die Wege, die wir nutzen auch viele andere Menschen anziehen (gerade an sonnigen Herbstsonntagen), aber ich muss gestehen, dass es schon besonders reizvoll ist, eben nicht „auf ausgetretenen Pfaden“ unterwegs zu sein. Sondern genau dort, wo es unwegsam ist und wo man letztendlich im besten Fall mit einer schönen Aussicht und wenigen anderen Wanderern belohnt wird.

Mein jetziges Ich hat außerdem erkannt, dass ich mich sehr glücklich schätzen kann, verhältnismäßig geringe Einschränkungen zu haben, was meine Motorik betrifft. Soll heißen: Wir haben die letzten Male bei unseren Wanderungen nun Gehstützen mitgenommen, weshalb wir uns nun auch Abstecher dorthin erlauben können, wo ich mit dem Rollstuhl niemals hinkommen würde. Komplett ausgeklügelt ist die Sache noch nicht, weil der Rollstuhl dann ganz allein irgendwo im Wald warten muss und wir dann doch nicht genug Vertrauen in die Gutmütigkeit unserer Mitmenschen haben um ihn lange unbeaufsichtigt stehen zu lassen

Aber rückblickend ist mir heute klar geworden, dass ich mich vor noch nicht allzu langer Zeit nicht getraut hätte, in der „Öffentlichkeit“ zu laufen und mir vor allem nicht solche langen und unwegsamen Strecken zugetraut hätte. Wie gesagt, alleine wäre das auch nicht möglich – aber ein kleines bisschen stolz bin ich schon. Dass ich nicht so unkompliziert und frei nach Lust und Laune wandern kann wie ein gesunder Fußgänger ist mir schon klar, aber ich bin mit dem Kompromiss, den wir gefunden haben mehr als zufrieden. Und um es jetzt nochmal etwas gefühlsduselig zu sagen: Ich bin dankbar diese Möglichkeit überhaupt zu haben und natürlich für meine Eltern und meinen Bruder, die fleißig den Rollstuhl oder die Stützen tragen, mich über Stock und Stein hieven, wenn ich es selbst nicht schaffe oder ganz einfach auf mich warten, wenn ich mich im Schneckentempo den Berg hochkämpfe. Selbst wenn ich im Alltag gut mit dem Rollstuhl klar komme und nicht besonders oft laufe, merke ich gerade im Bereich der Freizeit, wie viel es wert ist, die Funktionalität, die ich habe, aufrecht zu erhalten. 

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle noch darüber schreiben, dass es wünschenswert wäre, weitere Wege halbwegs barrierefrei auszubauen, sofern dies in einem Nationalpark möglich ist und Natur und Landschaft nicht darunter leiden. Andererseits geht es ja eigentlich genau darum: Die Natur so zu erleben wie sie ist und nicht wie sie von Menschenhand bequem gestaltet wurde. Aber dort wo ohnehin schon Wege vorhanden und touristisch erschlossene Ziele sind, besteht sicher noch einiges an Spielraum, um auch eingeschränkteren Personen den Zugang dorthin zu ermöglichen. Aber wovon schreibe ich hier überhaupt, wo doch noch so viel Nachholbedarf in Sachen Barrierefreiheit im öffentlichen Raum besteht? Sicher hat es für die meisten Menschen höhere Priorität, zuerst mal ohne Hindernisse zu sämtlichen Ämtern, in Krankenhäuser, in Züge, in Geschäfte und so weiter zu kommen. Nichtsdestotrotz - gerade im freizeitlichen Bereich ist Barrierefreiheit ja eigentlich nicht minder wichtig. Vor allem, wenn man ohne sie kaum Chancen auf Ausblicke wie diese hätte:



Sonntag, 14. März 2021

Herzblut

Mehr als die Hälfte meiner Famulatur ist geschafft und ich mache mir schon wieder Gedanken darüber, welchen Kuchen ich zum Abschied mitbringen soll. Es wird wohl auf Schoko-Kirsch und Quark-Aprikose hinauslaufen. Diesmal sogar zwei Sorten, das will schon was heißen.

Mir geht seit Beginn des Praktikums kaum etwas anderes als das Studium und meine Zukunft in demselben und vor allem als (hoffentlich irgendwann) Ärztin durch den Kopf. Deshalb schreibe ich hier auch so viel über ein eigentlich recht unspektakuläres Pflichtpraktikum, weil es mir guttut, meine Gedanken dazu schwarz auf weiß sortiert zu sehen.

Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich in den letzten Tagen den Satz gehört habe: "Oh, achso, ich dachte Sie sitzen da nur vorübergehend drin!" Wirklich, mindestens zwei mal am Tag werde ich gefragt, wie ich mich denn verletzt habe. Wahlweise wird sonst auch gedacht, ich wäre eine Krankenschwester, die sich aus Jux mit 'nem Rollstuhl über die Station bewegt. Ein Patient dachte, ich bringe ihm auf diese Weise einen Krankenhausrollstuhl ans Bett. Und eine andere Patientin fand es schön, dass man mich trotzdem in der Klinik arbeiten lässt. Joa, find' ich auch. 

Ich gebe mir wirklich Mühe, nicht allzu viel darüber zu grübeln, was Ärzte und Pflegepersonal (und auch Patienten) über mich denken und versuche so wenig wie möglich in Ihre Verhaltensweisen mir gegenüber hinein zu interpretieren. Aber ein bisschen argwöhnisch betrachtet werde ich ab und an von ein paar Leuten schon, finde ich. Aber jetzt nach der dritten Woche trauen sich auch die skeptisch Wirkenden nach und nach zu fragen, weshalb ich im Rollstuhl sitze und so weiter. Zwei Krankenschwestern wollten es wirklich ganz genau wissen und stellten mir alle erdenklichen Fragen, nachdem die erste Unsicherheit abgelegt war. Von "Wie heißt Du eigentlich?" bis "Wie finden Männer Dich seitdem?" und "Wie ging es Deinen Eltern damit?" innerhalb von 5 Minuten. Man merkt richtig, dass der Umgang danach entspannter ist, wenn das Eis einmal gebrochen ist. Ist ja logisch. Das zeigt mir aber wieder einmal die üblichen Berührungsängste, die ich - naiv wie ich mit 18 war - zu umgehen geglaubt habe, als ich mich für das Medizinstudium entschieden habe. 

Aber damit kann ich gut leben, wenn mir trotzdem Etwas zugetraut wird und man mich ernst nimmt. Und das ist größtenteils der Fall. Ein besonderes Positiv-Beispiel habe ich in der letzten Woche erlebt: Ich durfte mir für einige Tage die Arbeit im Vorbereitungsraum für die Operationen anschauen und auch ein wenig "mithelfen". Meine Unterstützung wäre sicher verzichtbar gewesen, aber ich konnte immerhin ein paar Erfolgserlebnisse in Sachen Flexüle-Legen verzeichnen. 

Viel mehr kann man als Student dort allerdings nicht machen, da die Anästhesie selbstverständlich durch die Anästhesisten durchgeführt wird. Es war zwar absolut interessant, dabei zuzuschauen, aber letztendlich beschränkte sich meine Hauptaufgabe mal wieder darauf, die wirklich sehr liebe und geduldige Änasthesieschwester immer wieder zu fragen: "Gibt´s etwas zu tun, kann ich was helfen?" und so wenig wie möglich im Weg zu stehen. Scheinbar haben das auch andere gemerkt und in der letzten Woche sprach mich einer der Chirurgen an, ob ich denn nicht mal mit in den OP kommen möchte, statt mir die ganze Zeit "das Gesteche" anzugucken. Klar wollte ich das, aber ursprünglich war mit dem Chef der Anästhesie besprochen, dass der OP für mich aufgrund hygienischer Aspekte Tabu ist. Der Chirurg meinte, bei Arthroskopien  wäre es hygienisch in Ordnung, wenn ich am Rand des Saals stehe und nahm mich kurzerhand mit hinein. Ungewöhnlicherweise fragte er nicht nach dem Grund für meine Querschnittlähmung, sondern sagte direkt "Was wollen Sie denn mal machen? Chirurgie würde sicherlich auch gehen, aber dann muss man da wahrscheinlich schon mit viel Herzblut rangehen." 

Er sagte wirklich "Chirurgie würde sicherlich auch gehen". Der Erste, der nicht von Vornherein das, das und das ausgeschlossen hat. Das hat mich in unerwartetem Ausmaß gefreut. Mit dem Herzblut hat er recht, da bin ich mir sicher. 

Genauso gefreut hat mich natürlich auch, dass er mir sehr viel zur OP erklärt hat und anbot, die interessanten Arthroskopien in der kommenden Woche herauszusuchen und mich dorthin mitzunehmen. Ich weiß, eine Arthroskopie ist nicht gerade die spektakulärste Operation, so sagte er es auch selbst, aber er hat sich dazu gedacht, dass Eingriffe dieser Art über den dabei verwendeten Bildschirm für mich optimal zu verfolgen sind, wohingegen ich bei  Operationen des Bauchraums beispielsweise vom Rollstuhl aus keine Chance habe, etwas zu sehen. Ganz abgesehen natürlich immer noch von der Hygiene, die bei jedem größeren Eingriff nicht ausreichend gewährleistet wäre. Es hat mich wirklich gefreut, dass er sich darüber Gedanken gemacht hat und von sich aus auf mich zu kam, selbst wenn ich mein Praktikum nicht mal in seinem Fachbereich mache. Nachtrag: Letztendlich wurde mir sogar ermöglicht, bei Hand- und Sprunggelenk-OPs zu assistieren. Dafür schob mich eine Anästhesiepflegerin nach dem chirurgischen Waschen an meinen Platz und der Rollstuhl und ich wurden vollständig vom sterilen Kittel umschlossen; ich sah aus wie Mutter Birnbaum. Der Rest funktionierte dann ganz unkompliziert. Noch ein Erfolgserlebnis. 


Einer meiner Rollstühle blieb aus hygienischen Gründen
für die gesamte Zeit des Praktikums im Krankenhaus.


Nun. Ich habe bisher viel gelernt, viel gesehen und vor allem auch gemerkt, dass ich trotz allem ernst genommen werden kann, sofern es für beide Seiten eine gewisse "Eingewöhnungszeit" gab. Und ich werde bestimmt entspannter und selbstbewusster in die nächste Famulatur starten. Vielleicht. Ein bisschen zumindest.

Samstag, 27. Februar 2021

tapfer weggeblinzelt

Zwischenbericht nach der ersten Praktikumswoche:

Teilweise haben sich meine Befürchtungen bestätigt, teilweise nicht. Ich kann definitiv sagen - Man ist als rollstuhlfahrender Famulant schon ein kleiner Hingucker. Ob nun im positiven oder im negativen Sinne können nur diejenigen sagen, die mich gesehen haben ;)

Nein, Spaß beiseite. Die Aufmerksamkeit, die mir aufgrund des Rollstuhls in den letzten Tagen zuteil wurde, war nicht immer angenehm. Ein paar mal wurde bei meinem Anblick laut gelacht, weil Einige dachten, ich hätte mich "einfach so" in einen Rollstuhl gesetzt (wer macht das denn bitte??), wodurch mir einmal tatsächlich ein kleines Tränchen im Augenwinkel saß; das habe ich aber ganz schnell tapfer weggeblinzelt und freundlich mitgelacht. Einmal wurde laut in die Runde gefragt: "Was ist denn mit ihr? Ist sie verletzt?" Anscheinend sehe ich noch so blutjung aus, dass ich nicht für mich selbst sprechen kann. Bei der allseits beliebten Diskussion über die zukünftige Facharztwahl wurde sofort die Chirurgie ausgeschlossen, bevor ich überhaupt einen Mucks sagen konnte, weil "das geht ja eh nicht." Geht wohl! Aber darüber wollte ich schüchtern wie ich manchmal bin niemanden aufklären und habe nur zustimmend genickt.

Aber: Beschweren kann ich mich nicht. Mir wird viel erklärt und gezeigt, selbst wenn es gerade stressig ist. Ich werde von allen wahrgenommen (das Gefühl hat man als Praktikant ja nicht immer..) und mir werden zum Glück keine schwierigen Fragen gestellt. Und wenn ich Irgendetwas nicht weiß, wird es mir beigebracht. 
Ein bisschen mehr Eigeninitiative muss ich dennoch an den Tag legen; vor allem, wenn ich praktische Fertigkeiten dazulernen möchte. Ich habe schon das Gefühl, ein bisschen unterschätzt zu werden. Mir wird jede Tür geöffnet, jeder Stuhl wird sofort zur Seite geräumt und wenn bei irgendwelchen ärztlichen Tätigkeiten gerade keine Schwester zum Anreichen anwesend ist und ich nichts tuend daneben sitze wird lieber nach der Schwester gerufen, statt zu sagen "Natalie, kannst du mal xy aus dem Schrank geben?". 

Aber nun hatte ich ja ein paar Tage "Eingewöhnungszeit" um aufzutauen und mich zu trauen, meine Hilfe öfter anzubieten und um hoffentlich einschätzen zu können, wann Zeit zum Fragen stellen ist und wann ich stören könnte. Momentan besteht meine Aufgabe nämlich noch hauptsächlich daraus, möglichst wenig im Weg zu stehen. Allerdings muss man in der Hinsicht auch ehrlich sagen, dass ich gerade auf einer Intensivstation wirklich nicht allzu viel machen kann. Da bin ich tatsächlich etwas zu eingeschränkt was Flexibilität, Mobilität und Schnelligkeit angeht. Schnell ins Zimmer rennen zum Reanimieren funktioniert nicht (nicht, dass man das als Student machen müsste, aber mal so perspektivisch). 

Dennoch ist es eine sehr interessante Erfahrung in die Arbeit dort hineinzuschnuppern und so viele verschiedene Krankheitsbilder, Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten live zu sehen, statt immer nur im Lehrbuch darüber zu lesen. Auf jeden Fall waren die ersten Tage sehr spannend - als ich das erste Mal eine Reanimation in der Realität gesehen habe, hat meine Nebenniere so viel Adrenalin ausgeschüttet, dass es wahrscheinlich für den Patienten gleich mit gereicht hätte. Und das nur in der Ecke stehend beim Zusehen..
Dass den Pflegern, Schwestern und Ärzten dort kein zweiter Kopf gewachsen ist bei dem Ausmaß an Wissen, das sie scheinbar stets und ständig mit sich rumtragen, wundert mich.

Jedenfalls haben mir die ersten paar Tage schon gezeigt, dass es für die Meisten einfach ungewohnt ist, im Krankenhaus Mitarbeiter mit einer offensichtlichen Behinderung um sich zu haben. Der Arzt ist der, der Andere (im besten Fall) gesund macht und nicht der, der selbst krank ist. Aber das Beste, was ich dagegen machen kann, ist weiterhin ganz normal mit größter Selbstverständlichkeit meinen Weg zu gehen (zu fahren!) und zu hoffen, dass mich irgendwann die meisten im Haus kennen und es akzeptiert wird und man merkt, dass ich nicht besser und nicht schlechter als alle Anderen auch bin. Und wenn ich schlechter sein sollte, dann liegt das sicher nicht am Rollstuhl. 
Ich weiß schon, mimimi. Es ist ja irgendwo klar, dass bisher noch niemand daran gewöhnt ist und es auch in Zukunft nicht großartig anders werden wird, einfach weil Rollstuhlfahrer den Fußgängern nunmal zahlenmäßig zum Glück unterlegen sind und auch nicht jeder Rollstuhlfahrer auf die Schnapsidee kommt, Arzt werden zu wollen. Aber mich beschäftigt die Sache doch mehr als gedacht, weil mein normales Umfeld und ich schon sehr gut an meine Behinderung gewöhnt sind und es für mich wieder ein kleiner Rückschritt oder zumindest eine Umstellung ist, wenn ich plötzlich wieder auf so viele neue Leute treffe, die mich eben nicht kennen.
Das Positive: In dieser Famulatur lerne ich also nicht nur fachlich dazu, sondern wachse hoffentlich auch persönlich ein bisschen.