Montag, 20. Dezember 2021

Gute Momente, schlechte Momente

Heute ist es schon wieder so weit. Der einzige Abend, an dem ich relativ verlässlich regelmäßig jedes Jahr vor meinem Laptop sitze und einen neuen Blogpost verfasse. Immerhin ein bisschen Regelmäßigkeit! Problematisch ist dabei, dass ich mir meine älteren Beiträge aus Scham nicht mehr durchlese und leider einfach vergesse, was ich im letzten Jahr so zum Thema Querschnittlähmung von mir gegeben habe. Vielleicht lasse ich eines Tages mal die 20.-Dezember-Texte Revue passieren und werde sehen, ob sich meine Sichtweise in irgendeiner Art entwickelt hat, oder ob ich in jedem Jahr ungefähr dasselbe schreibe. Es ist nicht so, dass ich diesen Tag besonders zelebriere oder dass er eine große emotionale Bedeutung für mich hat. Aber es ist einfach ein guter Anlass, um über die Sache nachzudenken und darüber, ob sich im vergangenen Jahr meine Perspektive in Bezug auf meine Situation verändert hat. 

Und wenn ich jetzt mal so ganz besonnen in mich gehe, kann ich sagen: Nö. Alles wie immer. Ich würde es so beschreiben, als hätte sich ein Gleichgewicht eingestellt. Es gibt gute Momente und es gibt schlechte Momente, mal mehr gute als schlechte und mal andersherum. In den guten Momenten nehme ich meine Einschränkungen kaum wahr oder sie stören mich schlichtweg weniger als sonst. Ich fühle mich dann selbstbewusst und bin stolz auf das, was ich bisher so geschafft habe. In den schlechten Momenten fühle ich mich ungenügend in jeglicher Hinsicht, fühle mich im wahrsten Sinne des Wortes behindert und halte mir permanent vor Augen, wie viel leichter das Leben wäre, hätte ich die Querschnittlähmung nicht. Aber damit bin ich ganz sicher nicht allein, denn jeder hat sein Päckchen zu tragen, wie es so schön abgedroschen heißt. Oder wie meine Oma zu sagen pflegt: "Unter jedem Dach ein Ach." 
Egal ob Rollstuhlfahrer oder nicht, schlechte Momente hat wahrscheinlich Jeder mal; der eine häufiger, der andere seltener, nur die Ursachen unterscheiden sich. Aber an Tagen wie heute kann ich mir leichter vor Augen führen, was sich in den letzten Jahren getan hat. Grübeleien wie "Warum ich? Wie soll mein Leben funktionieren? Werde ich je wieder normal laufen können?" sind überhaupt kein Thema mehr und das ist schon mal eine immense Erleichterung, wenn man sich nicht ständig über eine Sache grämt, die man ohnehin nicht grundlegend ändern kann. Sondern wie immer nur die eigene Einstellung dazu. Kluge Worte für Jemanden wie mich, der zu oft in seiner Badewanne voller Selbstmitleid versinkt, aber ich gelobe Besserung und bin guter Dinge. 

Gerade heute habe ich mir einen neuen Rollstuhl anpassen lassen. Genauer gesagt wurde erstmal Maß genommen und die wichtigsten Dinge bezüglich der Ausstattung besprochen. Vor mir liegen wahrscheinlich ein paar mehr oder weniger anstrengende Briefwechsel und Telefonate mit meiner Krankenkasse, aber ich hoffe gutgläubig wie ich bin einfach auf Kulanz und Großzügigkeit seitens der Kasse. Und was soll ich sagen - ich freue mich auf einen Rollstuhl, verrückt. 

Als meine Beraterin im Sanitätshaus mich mehrmals bat, mich aus meinem Rollstuhl umzusetzen oder hoch zu stützen, um verschiedene Längen abzumessen, sagte sie: "Du musst dich jetzt hier wahrscheinlich noch ein paar Mal hin und hersetzen. Aber das geht ja fix, du hast ja eigentlich echt 'nen Luxusquerschnitt." Da hat sie recht und dafür bin ich gerade heute auch wieder dankbar. Heute ist ein guter Tag.