Montag, 25. Oktober 2021

Über Stock & Stein

Vor dreieinhalb Jahren habe ich hier in einem Blogpost darüber geschrieben, dass ich auf Hobbysuche bin und gerne wandern würde. Dabei habe ich mich darüber aufgeregt, dass Einem als Rollstuhlfahrer nur die Wanderwege zur Verfügung stehen, die durch ihre Einfachheit bedingt von sehr vielen Menschen genutzt werden. 

Richtige Hobbys sind zwar seitdem keine neuen dazu gekommen, aber "wandern" war ich in letzter Zeit mal wieder öfter. Dabei habe ich Routen genutzt, die offiziell als barrierefrei gelten, sofern man Wege in freier Natur in einem Nationalpark als barrierefrei betiteln kann. Wurzeln, Stöcke, Steine, Pfützen – die einfachsten Dinge können Hindernisse darstellen; es braucht dazu nicht immer gleich eine Treppe. Selbst einfache Routen sind für mich alleine daher schwierig zu bewältigen, aber ich erhalte dabei zum Glück tatkräftige Unterstützung von meiner Familie. 

Wir sind langsam ein eingespieltes Rollstuhlwanderteam und wissen, dass ein „etwas unwegsamerer Abschnitt“ in der Routenbeschreibung teilweise sehr viel Anstrengung kosten kann. Mein jetziges Ich würde sich nicht mehr so sehr darüber aufregen, dass die Wege, die wir nutzen auch viele andere Menschen anziehen (gerade an sonnigen Herbstsonntagen), aber ich muss gestehen, dass es schon besonders reizvoll ist, eben nicht „auf ausgetretenen Pfaden“ unterwegs zu sein. Sondern genau dort, wo es unwegsam ist und wo man letztendlich im besten Fall mit einer schönen Aussicht und wenigen anderen Wanderern belohnt wird.

Mein jetziges Ich hat außerdem erkannt, dass ich mich sehr glücklich schätzen kann, verhältnismäßig geringe Einschränkungen zu haben, was meine Motorik betrifft. Soll heißen: Wir haben die letzten Male bei unseren Wanderungen nun Gehstützen mitgenommen, weshalb wir uns nun auch Abstecher dorthin erlauben können, wo ich mit dem Rollstuhl niemals hinkommen würde. Komplett ausgeklügelt ist die Sache noch nicht, weil der Rollstuhl dann ganz allein irgendwo im Wald warten muss und wir dann doch nicht genug Vertrauen in die Gutmütigkeit unserer Mitmenschen haben um ihn lange unbeaufsichtigt stehen zu lassen

Aber rückblickend ist mir heute klar geworden, dass ich mich vor noch nicht allzu langer Zeit nicht getraut hätte, in der „Öffentlichkeit“ zu laufen und mir vor allem nicht solche langen und unwegsamen Strecken zugetraut hätte. Wie gesagt, alleine wäre das auch nicht möglich – aber ein kleines bisschen stolz bin ich schon. Dass ich nicht so unkompliziert und frei nach Lust und Laune wandern kann wie ein gesunder Fußgänger ist mir schon klar, aber ich bin mit dem Kompromiss, den wir gefunden haben mehr als zufrieden. Und um es jetzt nochmal etwas gefühlsduselig zu sagen: Ich bin dankbar diese Möglichkeit überhaupt zu haben und natürlich für meine Eltern und meinen Bruder, die fleißig den Rollstuhl oder die Stützen tragen, mich über Stock und Stein hieven, wenn ich es selbst nicht schaffe oder ganz einfach auf mich warten, wenn ich mich im Schneckentempo den Berg hochkämpfe. Selbst wenn ich im Alltag gut mit dem Rollstuhl klar komme und nicht besonders oft laufe, merke ich gerade im Bereich der Freizeit, wie viel es wert ist, die Funktionalität, die ich habe, aufrecht zu erhalten. 

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle noch darüber schreiben, dass es wünschenswert wäre, weitere Wege halbwegs barrierefrei auszubauen, sofern dies in einem Nationalpark möglich ist und Natur und Landschaft nicht darunter leiden. Andererseits geht es ja eigentlich genau darum: Die Natur so zu erleben wie sie ist und nicht wie sie von Menschenhand bequem gestaltet wurde. Aber dort wo ohnehin schon Wege vorhanden und touristisch erschlossene Ziele sind, besteht sicher noch einiges an Spielraum, um auch eingeschränkteren Personen den Zugang dorthin zu ermöglichen. Aber wovon schreibe ich hier überhaupt, wo doch noch so viel Nachholbedarf in Sachen Barrierefreiheit im öffentlichen Raum besteht? Sicher hat es für die meisten Menschen höhere Priorität, zuerst mal ohne Hindernisse zu sämtlichen Ämtern, in Krankenhäuser, in Züge, in Geschäfte und so weiter zu kommen. Nichtsdestotrotz - gerade im freizeitlichen Bereich ist Barrierefreiheit ja eigentlich nicht minder wichtig. Vor allem, wenn man ohne sie kaum Chancen auf Ausblicke wie diese hätte: