Freitag, 20. September 2019

"Hast du nicht schon genug von Krankenhäusern und Ärzten?" Nö. - Medizin studieren als Rollstuhlfahrer -

Der Hauptgrund, weshalb hier sooo lange nichts mehr von mir zu hören war - mein Studium. Ich wollte schon seit langem darüber schreiben, aber dachte mir immer, dass es blöd wäre so viel vom Studium zu erzählen, wenn man's letztendlich vielleicht nicht schafft. Eigentlich Quatsch, man kann ja auch dazu stehen, wenn man mal scheitert.

Geschafft habe ich das Studium noch nicht, aber immerhin mein erstes Staatsexamen und damit den ersten Teil des Studiums. Ich studiere Humanmedizin im (bald) 5. Semester; momentan befinde ich mich in den lang ersehnten Semesterferien.

Mit dem Medizinstudium habe ich schon zu Schulzeiten geliebäugelt, aber es nie für wirklich realistisch gehalten, gut genug für das Studium sein zu können. Auch Quatsch. Zumindest um die ersten vier Semester zu schaffen, muss man nach meiner Erfahrung kein Abi 1,0 - Kandidat sein.

Als ich dann krank wurde, zweifelte ich sowieso daran, ob ein Medizinstudium als Rollstuhlfahrer überhaupt möglich sein könnte und verwarf den Wunsch vorerst. Aber dass es zumindest "in Richtung Medizin" gehen sollte, war für mich klar.

Während meiner Zeit in Bochum erfuhr ich dann, dass sowohl das Studium als auch die Tätigkeit als Arzt mit Querschnittlähmung sehr wohl machbar ist. Ich durfte sogar während eines Praktikums auf der Station für Rückenmarksverletzte ausgerüstet mit dem ausgedienten Stehrollstuhl des Oberarztes zum Zuschauen mit in den OP-Saal. Ich war ab da verständlicherweise Feuer & Flamme und beschloss mich für das Studium zu bewerben.

Einige Monate später heulte ich vor Freude, als ich den Brief mit der Zusage in den Händen hielt. Als Jemand mit einer Behinderung ist es allerdings ehrlich gesagt bei weitem nicht so schwierig, einen Platz zu ergattern. Es gibt eine Quote, nach der ein bestimmter Teil der Studienplätze an sogenannte "Härtefälle" vergeben wird. Dafür muss man natürlich umfangreich durch einen Facharzt nachweisen lassen, dass man eben nicht zur Überbrückung der Wartezeit eine Ausbildung zur Krankenschwester oder Ähnliches machen kann. Näheres dazu findet man allerdings auf Hochschulstart, ich bin kein Experte und einfach nur froh, dass es bei mir geklappt hat :D

Ob diese Regelung wirklich fair und sinnvoll ist, mag ich nicht beurteilen. Ein bisschen schlecht fühle ich mich allerdings nach wie vor, weil ich so unkompliziert zum Studium zugelassen wurde, ohne dass vorher einmal meine Eignung überprüft wurde. Aber nun bin ich drin und es läuft bisher ziemlich gut (klopf auf Holz).

Tja, wie klappt das denn nun mit dem Medizinstudium als Rollstuhlfahrer?

Also eigentlich echt nicht anders, als bei meinen laufenden Kommilitonen. Selbstverständlich ist es erforderlich, dass die Gebäude, in denen man Vorlesungen, Seminare und Praktika hat, barrierefrei sind.

Das ist leider nicht an jeder Uni der Fall, weshalb ich mir vorher meine Wunschunis persönlich angeguckt habe und Kontakt mit den Verantwortlichen für Studenten mit Behinderung aufnahm. Mir wurde zwar mehrmals gesagt, dass die Uni wohl (sofern man angenommen wurde) verpflichtet sei, einem das Studium barrierefrei zu ermöglichen, aber ich stelle mir das recht stressig und nervenaufreibend für alle Beteiligten vor.

Meist ist die Barrierefreiheit nämlich durch denkmalgeschützte Gebäude nicht gegeben und ich denke, dort sind die Möglichkeiten zur Lösung des Problems recht eingeschränkt. Deshalb habe ich mich an einer Universität beworben, an der bereits eine Rollstuhlfahrerin studierte und an der die baulichen Gegebenheiten stimmten. Schlecht ist es natürlich, wenn Fahrstühle etc defekt sind. Dann mussten bisher meine Freunde ran, um den Rollstuhl die Treppen hinaufzutragen. Was natürlich eigentlich echt nicht die Lösung sein kann..

Vor Beginn des Studiums sollte ich mich dann bei jedem einzelnen Lehrkoordinator der jeweiligen Fächer, die ich im darauffolgenden Semester belegen sollte, melden. So konnte der Studenplan so angepasst werden, dass die Veranstaltungsräume immer mit dem Rollstuhl zugänglich waren. Das handhabe ich nun nach wie vor so und schreibe vor jedem Semester einige Mails darüber, dass ich Rollstuhlfahrerin bin und studiere, yeah :D Bisher hat das tatsächlich fast niemanden interessiert, nur ein - zwei Mal wurde ich um ein Treffen gebeten, um die Gegebenheiten vor Ort anzuschauen.
Da ich nun in den klinischen Abschnitt des Studiums eintrete und bisher niemand im Rollstuhl an meiner Uni im klinischen Abschnitt studiert hat, bin ich sehr gespannt, wie das wohl wird (und sollte wohl schleunigst mal die Mails schreiben..).

In der Vorklinik belegt man den berühmt-berüchtigten Präparierkurs. Hier lernt und vertieft man seine Anatomiekenntnisse, indem man über mehrere Monate hinweg in einer kleinen Gruppe einen Körperspender präpariert. Mag sich für manch einen gruslig bis eklig anhören, ist aber nichts dergleichen. Für mich war der "Präpkurs" eine sehr interessante Erfahrung, auch wenn einem ständig der Druck der bevorstehenden Testate im Nacken saß.

Jedenfalls muss man zum Präparieren gut an den Tisch kommen, auf dem der Körperspender liegt. Da die Tische bei uns nicht höhenverstellbar sind, haben wir uns überlegt, dass ich mich auf einen hohen Stuhl setze, der ein bisschen einem Barhocker ähnelte. Klingt makaberer, als es war. Mit den Füßen konnte ich mich an einer Leiste unten am Tisch abstützen und ich konnte meist nur mit einer Hand arbeiten, da ich die andere ebenfalls zum abstützen benötigte. Das war ziemlich anstrengend, aber immerhin die beste Möglichkeit. Und anstrengend war das Ganze sowieso für jeden, da man drei Stunden in leicht gebückter Haltung ausharrte.

In der Biochemie mussten wir verteilt über zwei Semester mehrere Praktika (also Versuche im Labor) absolvieren. Hierbei wurde der Praktikumsplatz für mich und meine Partnerin immer an einem niedrigen Tisch aufgebaut, um das Arbeiten im Sitzen zu ermöglichen.

Ansonsten musste nichts weiter an mich angepasst werden, soweit ich mich erinnere.
Anders als ich noch vor ein paar Jahren erwartet habe, ist es - zumindest aus meiner Perspektive - also doch relativ easy, als Rollstuhlfahrer Medizin zu studieren (wenn man nur die Barrierefreiheit und nicht das Studium selbst betrachtet.. :D), was keine Selbstverständlichkeit ist, obwohl es eine sein sollte.

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